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Aller guten Dinge [04/2012]

03/05/2012

…sind ja nunmal bekanntlich Drei – ist mir aber egal, denn ich mach daraus Vier(einhalb). Jeden Monat Dinge die ich hörte, las, sah und lernte. Ab jetzt ohne dreifache Besetzung jeder Kategorie zwecks Zeit- und Platzersparnis – außer es brennt mir mal unter den Fingern. Immer noch ohne Rücksicht auf Meinungen, die von meiner abweichen, Notwendigkeit der verbreiteten Information oder gar das Interesse des potentiellen Lesers. Immer noch ohne Anspruch auf Objektivität oder ähnlichen Quatsch. Immer noch zwischen pseudointellektuellem Kulturgedöns und Schrott; zwischen „leider geil“ und „mehr so semi-super“. Diesmal: April, der klischeefreudigste aller Monate. Er hat nichts besseres zu tun, als das Klischee vom Aprilwetter voll ung ganz zu bestätigen und macht sich damit nicht nur Freunde.

Gehört. Ich liebe Musik. Ich höre jeden Tag Musik. Ich bin ein Musiknerd mit beängstigend viel nutzlosen Wissen. Ergo: diese Kategorie. *** Es gibt nur ein Album, über das ich in diesem Monat schreiben kann, denn es gibt nun einmal auch nur eine beste Band der Welt. Auch andere Bands, deren Alben nicht auch heißen, veröffentlichen in diesem Jahr Alben, aber keines wurde von mir so sehnsüchtig erwartet, herbeigesehnt und auch ein bisschen gefürchtet. Wie klingen die ärzte mit Ende 40, was darf man von einem die ärzte Album im Jahr 2012 – 30 Jahre nach dem ersten Konzert der Band – eigentlich erwarten? Um die Beantwortung dieser Frage noch etwas hinauszuzögern folgen einige Bemerkungen, die nichts mit den Songs auf ‚auch‘ zu tun haben: das Album kommt in sehr schickem Familienspielkartondesign und einigermaßen amüsantem beigelegten die-ärzte-Brettspiel daher und wird durch zwei Videos pro Song (das machte allein fürs Album 32 Videos) auf youtube promotet. In Zeiten von GEMA-Generv und ermüdenden Copyright-Diskussionen ein schönes, sympathisches Zeichen. Aber es hilft alles nicht; sprechen wir über die Musik: es wäre falsch, zu sagen, dass ‚auch‘ ein schlechtes Album ist, weil es einen Haufen Songs beinhaltet, die mir nicht gefallen. Es gibt keine einziges Album dieser Band, auf dem mir jedes Lied gefällt. Auf jedem einzelnen Langspieler befinden sich furchtbare Songs – das war schon immer so. Von der seit jeher sinnlosen Frage danach, ob eine Band , die schon 1984 Popmusik gemacht hat „eigentlich noch Punk“ sei, will ich gar nicht anfangen, denn die beantwortet Farin in ‚Ist das noch Punkrock?‘, einem der besseren neuen Songs, ehrlich und direkt mit: „Ich glaube nicht.“ Daran könnten sich gewisse alte Herren aus Düsseldorf bei Gelegenheit mal eine Scheibe abschneiden. Überhaupt überzeugen die Lieder aus der Feder von Herrn Urlaub auch auf ‚auch‘ am meisten. ‚TCR‘ und ‚M&F‘ sind gelungen Popsongs mit Ohrwurmpotential (& bescheuerten Namen), die einigermaßen unterhaltsame Texte haben, ‚Waldspaziergang mit Folgen‘ überzeugt sowohl durch augenzwinkernden Text und den vollkommen unerwarteten Falsettogesang und ‚Fiasko‘ als einziger, richtig schneller Song gefällt auch irgendwie. Rods Beiträge schwanken zwischen Himmel und Hölle. Während ‚Das finde ich gut‘ und ‚Sohn der Leere‘ zumindest musikalisch überzeugen (die Texte klingen mitunter zu gewollt nachdenklich), sorgen ‚Angekumpelt‘ und ‚Die Hard‘ für nichtssagende Langeweile und ‚Tamagotchi‘ mit der furchtbarsten Textzeile in der 30jährigen Bandgeschichte – „Wir müssen echt mal wieder speaken / Du bist doch mein kleines Küken“ – vor allem für eine große Portion Fremdscham. Am schmerzhaftesten ist jedoch die Erkenntnis, dass sich bei Bela seit Beginn seiner furchtbaren Soloveröffentlichungen keine nennenswerte Verbesserung in Sachen Songwriting getan hat. ‚Bettmagnet‘ oder ‚Das darfst du‘ sind langweilig und textlich vollkommen belanglos – sie könnten genauso von ‚Bingo‘ stammen. Einzig dem relativ lässig vorgetragenen, ironischen Text von ‚Miststück‘ kann ich etwas abgewinnen. Eigentlich erschreckend ist für mich allerdings die Erkenntnis, dass dies angeblich die besten Lieder sein sollen, die die drei Herren innerhalb der letzten 5 (!) Jahre für die ärzte geschrieben haben. Im Gegensatz zu früheren Alben wirkt ‚auch‘ wie die lustlos zusammengestellte Kompilation von drei Einzelkünstlern und während die Lieder musikalisch weitgehend überzeugen können fehlt mir der eine oder andere Song, der wirklich etwas zu sagen hat oder textlich zumindest überrascht. Die mittlerweile routinierte Abfolge ‚Farin-Song, Bela-Song, Rod-Song‘ unterstreicht dabei leider die Tatsache, dass ‚auch‘ ein brutal durchschnittliches Album ist. Beim wiederholten Anhören – denn natürlich habe ich das Album trotz Allem unzählige Male gehört – fällt mir leider auf, wie viele der Lieder ich unwillkürlich überspringe und wäre dies ein Werk von jeder anderen Band, die nicht die ärzte heißt gewesen, dann hätte ich es wohl nach dreimaligem Hören abgeschrieben. Es bleibt zu hoffen, dass die Lust am gemeinsamen Musikmachen bei die ärzte noch nicht völlig verloren ist und eines Tages wieder zum Vorschein kommt. Zwar ist nach der diesjährigen Tour (schon wieder) eine längere Pause angekündigt, aber das Ende ist noch nicht vorbei. Und eines steht ohnehin fest: diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen. Auch nach ‚auch‘ nicht.

Gelesen. Ich studiere Europäische Literatur. Erklärung genug? Nein? Okay, ich schreibe unglaublich gern über Bücher, die ich gelesen hab. Nick Hornby macht das schließlich auch und wenn der darf, dann will ich auch. Bäh! *** Vielleicht liegt es daran, dass einer meiner größten Träume darin besteht, mit einem VW-Bus von Kassel nach Feuerland zu fahren – nähere Details zur Reiseroute würden den Rahmen sprengen -, aber ich finde Bücher über große vergangene Entdecker super. Die Entdeckung der Langsamkeit ist ein solches Buch und ich finde, auch Menschen, die meinen seltsamen Traum nicht teilen, sollten es lesen. Sten Nadolny hat es nicht nur geschafft, ein spannendes und unterhaltsames Buch zu schreiben, sondern auch meine Vorurteile gegenüber historischen Romanen zu entkräftigen. Sein Roman über den Nordpolforscher John Franklin ist hervorragend recherchiert und vermittelt sehr gelungen die Atmosphäre des Zeitalters des britischen Empire, der Entdecker und der Schlacht von Trafalgar. In einer Zeit, in der man mithilfe von Google Earth innerhalb von Sekunden alle Ecken der Welt erforschen kann ist es ganz einfach faszinierend, Berichte über Menschen zu lesen, die ihr Leben riskiert haben, um Küstenlinien zu kartographieren und eine Passage durch das Polarmeer zu finden. Aber auch die Beschreibung davon, wie die Mannschaft von John Franklin bei der Rückkehr von einer Expedition zu den nördlichen Eiswüsten Kanadas so ausgehungert ist, dass sie vor Verzweiflung ihre Lederstiefel kauen, bleibt im Gedächtnis. Lange Rede, kurzer Sinn – ein spannendes Buch, das historische Begebenheiten gelungen umdichtet und neuinterpretiert.

Gesehen. Ich bin ein Fuchs. Ich nannte diese Kategorie bewusst nicht „Geschaut“ denn so kann ich im Notfall – wenn ich mal keine aufregenden Filme oder Serien sah – auch schreiben: „Diesen Monat sah ich die zugefrorene Lahn.“ Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss… *** „Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs schaffen es die Nazis mit Hilfe von riesigen Ufos, sogenannten Reichsflugscheiben, die dunkle Seite des Mondes zu besiedeln. Als sie im Jahr 2018 zufällig von einer amerikanischen Mondmission entdeckt werden, sehen sie ihre Zeit gekommen, um wieder nach der Weltherrschaft zu greifen.“ Ein Film über Nazis auf der dunklen Seite des Mondes – das ist so bescheuert, dass es eigentlich nur großartig sein kann. Und was soll ich sagen, tatsächlich ist Iron Sky der beste Film, den ich seit langem im Kino gesehen habe und selten habe ich es erlebt, dass ein Kinopublikum so begeistert und erheitert war. Ich gebe zu, dass man eine solide Portion schwarzen Humor mit ins Kino bringen sollte, aber unter dieser Vorraussetzung kann man den Saal eigentlich nur begeistert verlassen. Der Film beantwortet auf lässigste Art und Weise die Frage „Darf man über Nazis lachen?“ mit „Selbstverständlich“ und macht nebenbei noch deutlich, wie verlogen das politische Geschehen in unserer Zeit eigentlich ist – wohlgemerkt mit Humor anstatt des Zeigefingers von Michael Moore. ‚Iron Sky‘ ist ein massenkompatibler Film, der sympathisch trashig wirkt und dabei schwärzesten Humor und ernsthafte politische Message auf großartige Weise miteinander verknüpft. Für mich bisher der Film des Jahres und das beste Kinoerlebnis seit Ewigkeiten.

Gelernt. Jeden Tag lernt man neue Dinge. Manche sind nützlich, andere vollkommener Unsinn, den kein Mensch braucht. Ich möchte meine Erkenntnisse teilen, schrecke dabei jedoch keinesfalls davor zurück, beide Kategorien zu bedienen. *** Ich versuche jetzt einfach mal, diese Information nüchtern mitzuteilen und hoffe, dass der Leser sich nicht allzu lange mit der Frage aufhält, warum ich über dieses, äh, Phänomen im April nachgedacht und diskutiert habe. Der sogenannte Südkaper ist eine Glattwalart. Dass Wale die größten Säugetiere der Welt sind, ist hinlänglich bekannt und dementsprechend zählen auch ihre einzelnen Körperteile zu den größten und schwersten in der Tierwelt. Auf welches Körperteil ich hinaus will mag sich manch einer schon denken, aber vielleicht sollte ich ganz einfach wikipedia zitieren, um mich mit knallrotem Kopf klammheimlich aus der Affäre zu ziehen: „In der Tierwelt hat der männliche Südkaper die größten Hoden, sie machen mit je 500 kg 2 % des Körpergewichts aus. Bei einem Samenerguss werden bis zu 20 Liter Sperma freigesetzt.“ Eigentlich will ich das garnicht weiter kommentieren, dennoch seien mir drei – im Vergleich zu Walhoden – klitzekleine Kommentare gestattet. 1.) Ich weiß, Prozentrechnung ist nicht einfach, aber rechnen sie das einfach mal mit dem Taschenrechner nach, liebe Herren. 2.) Behalten sie das Ergebnis im Hinterkopf, wenn sie das nächste mal einen gestrandeten Wal im Fernsehehen erblicken. Falls sie den Wunsch verspüren, können sie im Anschluss hier Greenpeace erreichen. 3.) Eier, wir brauchen Eier! Selbst Olli Kahn müsste mit einer Tonne zufrieden sein.

Video des Monats: Eine kleine, aber feine halbe Kategorie. Angucken und toll finden, bitte! *** Das beste Musikvideo, das ich seit langem gesehen habe. Bild und Ton harmonieren ganz wunderbar – so sollen Musikvideos doch eigentlich sein, oder? Viel Spaß mit dem Simple Song von der fantastischen Band The Shins. Ich halte das Video für ein kleines Meisterwerk.

Wie ein Fisch ohne Fahrrad in der Konservendose

04/04/2012

Mit Wut im Bauch sollte man weder Auto fahren, noch Texte schreiben. Das Eine stellt eine Gefährdung des Straßenverkehrs dar. Das Andere führt in erster Linie dazu, dass man wüste Beschimpfungen vom Stapel lässt, sich auf vollkommen subjektive Art und Weise zu persönlichen Beleidigungen hinreißen lässt, unter die Gürtellinie zielt und dabei jegliche Form von Anstand und Erziehung vergisst. All das erwartet den Leser im folgenden Artikel. Eine Gefahr für den Straßenverkehr stellt er allerdings lediglich dar, wenn man ihn beim Autofahren liest.

Schwimmen ist an sich eine fantastische Beschäftigung. Eine Sportart, die nicht nur einen Haufen Muskeln beansprucht, sondern dabei gleichzeitig die Gelenke schont, gegen Rückenschmerzen hilft und eigentlich auch Spaß macht. Ich sage eigentlich. Da mittlerweile mehr als die Hälfte aller Menschen dieser Welt in Städten wohnen ist es den wenigsten Schwimmbegeisterten vergönnt, in unmittelbarer Nähe von natürlichen Gewässern zu wohnen. In einem schwedischen See zu schwimmen ist wunderbar, allerdings nicht gerade praktikabel wenn man in Mittelhessen wohnt. Die Antwort der zivilisierten Menschheit heißt „Schwimmbad“ und hier hört der Spaß auf. Ich hege bereits seit geraumer Zeit den Verdacht, dass Schwimmbäder lediglich erfunden wurden, um den modernen Menschen zu quälen. Einigermaßen passablen Schwimmern, die dem Alltag für eine Stunde entfliehen möchten und ein paar Bahnen ziehen wollen, wird dieser Wunsch verwehrt. Die Schwimmbäder der Welt sind voll von Menschen, die mir ganz persönlich den Spaß am Schwimmen rauben wollen und um meinen Hass auf diese Menschen besser kanalisieren zu können, habe ich Feldstudien betrieben und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass in allen Schwimmbädern lediglich sechs Arten von Menschen vorkommen.

1. Schwimmvereine: In diesem Punkt sollte man mich nicht falsch verstehen. Ich habe nichts gegen Schwimmvereine an sich oder gar gegen ihre Mitglieder. Vermutlich zählen sie zu den wenigen Menschen in den Schwimmbädern dieser Welt, die wirklich gerne schwimmen. Es ist lediglich frustrierend, bereits beim Betreten der Schwimmhalle festzustellen, dass mal wieder nahezu die Hälfte des Beckens abgesperrt ist und man sich demenstsprechend eine noch kleinere Wasserfläche mit dem übrigen Pack aus den anderen fünf Menschengruppen teilen muss, das sich mal wieder dort tummelt. Bereits bevor man überhaupt im Schwimmbecken ist, droht die Lust bereits zu vergehen. Vermutlich ist es einfach der Neid, der aus mir spricht – das Privileg der Schwimmvereine, niemals eine Bahn mit Aquajoggern oder Senioren teilen zu müssen lässt mich vor Neid erblassen. Doch während sich Vereinsmitglieder dieses Privileg wenigstens verdienen, da sie schneller schwimmen als ich es mir je erträumen würde, macht mich die Absperrung für Schulklassen oder ähnliche Gruppen rasend. Womit wir bei der nächsten Gruppe angelangt wären.

2. Kinder: Ich mache keinen Hehl daraus: ich mag Kinder nicht. Sie sind laut, dreckig und oft unsympathisch. Sie halten sich nicht an die einfachsten Regeln, die anderen Menschen das reibungslose Zusammenleben ermöglichen. Während langer Bahnfahrten sorgen sie und ihre antiautoritären Eltern dafür, dass ich nicht dazu komme auch nur eine Seite in meinem Buch ungestört lesen zu können, im Bus krakeelen sie herum und pöbeln Menschen an und im Schwimmbad rennen sie durch die Gegend, springen dir vor den Latz und tauchen mitten im Becken nach bescheuerten Ringen. Sie können von den Bademeistern, die ungefähr so viel Autorität besitzen wie zwölfjährige, pickelige Klassensprecher, nicht einmal ansatzweise in Zaum gehalten werden und terrorisieren so vollkommen ungestört die Schwimmer. Von der angeblichen geringen Geburtenrate der Deutschen habe ich im Schwimmbad leider noch nichts mitbekommen. Vielmehr manifestiert sich hier die Überbevölkerung, verkörpert von unsympathischen Dreckschratzen, die bestenfalls von ihren Eltern geliebt werden können.

3. Aquajogger: „Und am achten Tag sah Gott auf die Erde und musste feststellen, dass die Menschen sie bereits vollkommen zugrundegerichtet hatten. Gott war wütend und wollte die Menschen strafen. So erfand Gott das Aquajogging und fortan waren die Schwimmbäder der Erde bevölkert von Menschen, die sich unfassbar langsam und unathletisch fortbewegten. Sie sollten den Schwimmern dieser Welt von dieser Stunde an grundsätzlich immer im Weg sein und sie damit in den Wahnsinn treiben. Gott freute sich, denn seine Plage war ein voller Erfolg.“ Es ist ja nicht nur die Tatsache, dass Aquajogger kacke aussehen – meistens sind sie ausgerüstet mit seltsamen Westen und Poolnudeln – und mit ihren ausgestreckten Armen so unmenschlich viel Platz beanspruchen, sondern die Tatsache, dass sie sich wirklich einbilden, Sport zu machen. Nicht-Sportarten wie Aqujogging oder das unsägliche Nordic-Walking wären schon schlimm genug, wenn die Menschen, die sie betreiben nicht auch noch grundsätzlich immer jenen im Weg wären, die echten Sportarten nachgehen. So aber muss der Läufer sich seinem natürlichen Feind mit den bescheuerten Stöcken stellen, während man als Schwimmer im Zickzack um Aquajogger kurven muss. Wenigstens kommen diese im Gegensatz zum gehenden Pendant nicht in den typischen Rudeln von verzweifelten Hausfrauen vor, die die Feldwege dieser Republik verstopfen. Ein Wermutstropfen.

4. Walfischfamilien: Ja, man sollte Menschen nicht nach äußerlichen Merkmalen beurteilen. Das ist unangemessen und dumm. Aber warum müssen denn ausgerechnet jene Individuuen, die allein aufgrund ihrer Körperfülle mehr Wasser verdrängen als der gesamte Schwimmverein nebenan, auch noch ihre beleibten Angehörigen mit ins Becken bringen. Meist handelt sich um ein dickes Paar Eltern mit ihrem unsympathischen, fastfoodsüchtigen Nachwuchs, die sich grundsätzlich nebeneinander durchs Becken treiben lassen. Die Tatsache, dass Fett bekanntlich oben schwimmt, ermöglicht es ihnen, auf dem Wasser zu treiben, ohne auch nur einen einzigen Muskel zu aktivieren. Sie blockieren zumeist den gesamten Beckenteil, der sich in unmittelbarer Nähe zur Treppe befindet. Entspannt lassen sie sich einfach treiben und da das Becken sich aufgrund der vollkommenen Überbelegung ohnehin schon von selbst zum Wellenbecken entwickelt hat, kommen sie auf diese Art und Weise auch immer irgendwie auf der anderen Seite der Bahn an – unglaublich langsam versteht sich.

5. Plaudertaschen: Mir fehlen die Ausdrücke um meine Verachtung für diese Gruppe in Worte zu fassen. Sie hängen an den Beckenrändern, als wären sie daran festgewachsen und machen es damit unmöglich, am Ende einer Bahn ohne Umwege abzuschlagen. Sie verharren bis zu einer halben Stunde vollkommen unbeweglich dort und belästigen alle Umstehenden mit ihren vollkommen uninteressanten, lauthals vorgetragenen Geschichten. In unregelmäßigen Zeitabständen schwimmen sie im Schneckentempo von einer Seite des Beckens zur anderen, nur um sich dort festzusaugen und erneut Bewegunslosigkeit zu praktizieren. Oft handelt es sich um Männer mittleren Alters – vermutlich trockene Alkoholiker, die ihren Frauen entgehen wollen, sich aber nicht in der Kneipe treffen können – oder Pärchen von der Sorte, bei der man unweigerlich fragt, ob sich auch ihren Klogang als Gemeinschaftsaktivität ansehen. In den meisten Fällen aber handelt es sich um einen Elternteil – oft der Vater – und sein unsägliches Kind. Sie albern mitunter am Beckenrand rum und sorgen so für weitere Ärgernis. Ich begrüße diese Versuche, den Familienfrieden wiederherzustellen und sehe ein, dass es besser ist als eine Situation, in der das Jugendamt wieder beschämt in der Ecke steht und betont, nichts geahnt zu haben, aber müssen die sich denn ausgerechnet da aussöhnen, wo ich schwimmen will?

6. Aktivsenioren: An sich sind die Senioren die sympathischte Gruppe. Sie sind zwar langsam, aber längst nicht so langsam wie die Aquajogger und treten außerdem für gewöhnlich nicht im Rudel auf, was für sie spricht. Sie sind meist gertenschlank und nehmen kaum Platz weg und halten sich außerdem an sämtliche Regeln, wodurch sie keinem zur Last fallen. Das enzige was mich an ihnen stört ist die Tatsache, dass ich sie gruselig finde. Aktivsenioren sind nicht nur lächerlich fit und können dementsprechend 60 Minuten ununterbrochen ihre langsamen Bahnen ziehen, sondern sehen zu allem Überfluss auch noch alle identisch aus. Es handelt sich dabei zumeist um kleine, magere Männchen mit wenigen bis gar keinen Haaren. Sie sind ausgemergelt, tragen eng anliegende, schwarze Dreiecksbadehosen und haben exakt fünf graue Haare auf ihrer Hühnerbrust. Oftmals kriegt man einen Schreck wenn man auf den Ausgang zuschwimmt und einen Senioren dabei beobachtet, ins Becken zu klettern, der sich in mindesten dreifacher Ausführung genauso schon im Becken befindet und seit einer halben Stunde hin- und herschwimmt.

Am Ende verlässt man völlig entnervt das Becken und ist froh, wenn es gelungen ist, nicht nach der Hälfte vor Verzweiflung und Ärger aufzugeben. Jeder Schwimmbadbesuch wird somit zur Zerreißprobe für den eigenen Geduldsfaden und man muss sich unweigerlich die Frage stellen, ob der sportliche Ehrgeiz groß genug ist, um die riesige Portion Menschenhass zu verkraften, die nach dem Schwimmen entsteht. Vor allen Dingen aber ärgert man sich einmal mehr über den horrenden Preis von 3 Euro – ermäßigt versteht sich; aber die gefühlten 8 Bademeister, die sich grundsätzlich nie aus ihrem Kabuff bewegen und immer am Essen zu sein scheinen, müssen ja auch bezahlt werden – den man bezahlt hat, um sich diesen Wahnsinn schon wieder anzutun.

Aus gegebenem Anlass:

Und jetzt kann ich wieder unter Menschen gehen…


Aller guten Dinge [03/2012]

03/04/2012

…sind ja nunmal bekanntlich Drei. Jeden Monat dreimal Dinge die ich hörte, las, sah und lernte. Ohne Rücksicht auf Meinungen, die von meiner abweichen, Notwendigkeit der verbreiteten Information oder gar das Interesse des potentiellen Lesers. Ohne Anspruch auf Objektivität oder ähnlichen Quatsch. Zwischen pseudointellektuellem Kulturgedöns und Schrott. Zwischen „leider geil“ und „mehr so semi-super“. Diesmal: März – der Monat, in dem mehr Menschen in meinem Umfeld Geburtstag haben, als mein Geldbeutel verträgt. Der Monat in dem man in den Urlaub fährt und nachts frierend aufwacht, nur um dann nach Hause zurückzukommen und festzustellen, dass daheim in der Zwischenzeit der Sommer ausgebrochen ist.

Gehört. Ich liebe Musik. Ich höre jeden Tag Musik. Ich bin ein Musiknerd mit beängstigend viel nutzlosen Wissen. Ergo: diese Kategorie. *** „Es war ein Fehler, uns ewige Treue zu schwören / Denn es gibt besseres zu tun, als die die ärzte zu hören.“ Einmal mehr gelingt es dieser Band, der ich seit nunmehr gut einem Jahrzehnt die Treue halte, mit der gewohnten Portion Selbstironie und Augenzwinkern trotzdem, den Nagel genau auf den Kopf zu treffen. Oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: „Sie sind Die Beste Band der Welt und sie sind wieder da. Mit einem Song für und über Fans. Mit Badubadubadu und Lalalala. Mit einem Refrain, der sich ganz fies im Ohr festsetzt.“ Und da ich eben zu jener Sorte Menschen gehöre, die leider wirklich nichts besseres zu tun haben, rannte ich am 2. März, am Tag nach der Videopremiere der neuen Single ZeiDverschwÄndung, die ich noch nicht einmal besonders toll fand, in den Plattenladen, zahlte willig einen viel zu hohen Preis für eine EP mit 4 Songs und war trotzdem selig. Der kleine Laden, in dem ich die CD erstand, da man sie bei der fiesen geizgeilen Konkurrenz vergeblich suchte, war übrigens nahezu leer. Wer errät, was für einen Tonträger die einzige andere Kundin erwarb, gewinnt 10 Gummipunkte. Ich schmunzelte und dachte an den Pullover, den ich mit 13 gerne trug. „Ich bin nicht allein. Ich bin die ärzte Fan“ stand drauf. Um wenigstens ein paar Worte zu den neuen Songs zu verlieren: der Titelsong muss mehrfach gehört werden, um zu gefallen, wirkt zunächst ein bisschen lahm und unspektakulär, hat aber tatsächlich im Refrain äußerst fiesen Ohrwurmcharakter. Farins Beitrag ‚Mutig‘ klingt gewohnt rockig und auf den Punkt, aber ein bisschen zu sehr wie 20 andere Songs aus seiner Feder, während Rods ‚Quadrophenia‘ für eine positive Überraschung bei mir sorgte. Im Ganzen kommt die EP eher mittelmäßig daher, aber das stört den Fan, der seit 5 Jahren nach neuem Material gedürstet hat, ja eigentlich nur geringfügig. Ich jedenfalls freue mich schon wie Bolle auf das Album, das im April erscheint. Es gibt eben auch schlechteres zu tun, als die ärzte zu hören. *** Während Musik für mich im Alltag bereits eine wichtige Rolle spielt, so ist diese im Urlaub noch wichtiger. Wenn man den ganzen Tag damit verbringt, im Auto zu sitzen und durch die Gegend zu fahren, dann ist eine ordentliche Beschallung das A und O. Eine tolle Landschaft braucht auch einen angemessen Soundtrack und dieser muss freilich passend sein. Jeder Roadtrip braucht daher seine eigene Hymne und diese findet sich in der Regel im Lauf des Urlaubs von selbst. Bei unserem Trip durch die Niederlande in diesem Monat mauserten sich Peter Bjorn and John mit ihrem großartigen Song Amsterdam auf den Platz der inoffiziellen Urlaubshymne. Ich würde dieses Lied gerne teilen, kann dies aber dank der Gema nur in Form einer schrottigen Liveversion tun. „Dieses Lied ist leider nicht verfügbar in ihrem Land / Unsere Antwort kennt ihr sicher, sie heißt Widerstand“ um noch einmal auf Deichkind zurückzukommen. Die Erinnerung an Amsterdam kann mir die Gema jedenfalls nicht wegnehmen. „Still I was way, way out of line / Amsterdam was stuck in my mind.“ *** Genauso wie im Urlaub ist auch beim Lesen die richtige Beschallung enorm wichtig, besonders wenn man so viel Zeit damit verbringt, Bücher zu lesen, wie ich es im Moment unibedingt tue. Dass ich bei der Lektüre von Romanen, die im österreich-ungarischen Kaiserreich spielen, nicht unbedingt K.I.Z. oder Deichkind hören möchte, liegt nicht ausschließlich daran, dass ich mich bei deutschsprachiger Musik nicht aufs Lesen konzentrieren kann. Kurzum: die richtige Musik ist wichtig. Gut also, wenn man auf eine wohlgefüllte und abwechslungsreiche iTunes-Bibliothek zurückgreifen und dabei Perlen wie Beirut hervorholen kann. Wenn die Hörner rumpeln, die Mandoline fröhlich klimpert und Zach Condon anfängt mehr zu jaulen als zu singen, dann fühlt man sich direkt in die osteuröpäische Provinz versetzt. Da ich noch keine Karte habe sage ich es nur ungern, aber die Tatsache, dass diese Band im Juni beim Hurricane und dem Southside spielen wird, ist nur einer von vielen Gründen, die auf der positiven Seite dem stolzen Kartenpreis auf der Negativseite der Argumenteliste gegenüberstehen.

Gelesen. Ich studiere Europäische Literatur. Erklärung genug? Nein? Okay, ich schreibe unglaublich gern über Bücher, die ich gelesen hab. Auch wenns niemand juckt! *** Um es kurz zu machen, da die anderen Teile einmal mehr bereits viel zu lang geraten sind, sage ich vorab: Ich habe diesen Monat drei sehr gute Romane gelesen. Der Idiot von Fjodor M. Dostojewski ist von diesen Romanen derjenige, der am meisten Zeit beansprucht hat. Es ist ein äußerst gelungenes Werk, allerdings eines, auf das man sich einlassen muss, das sich nur schwer mal eben nebenbei – zum Beispiel im Urlaub während der Fahrt – lesen lässt und eine gute Portion Geduld benötigt. Am Ende wird diese Geduld durchaus belohnt, aber es ist ein anstrengendes Leseerlebniss. Entspannung ist anders – allein das Zurechtfinden innerhalb der riesigen Figurenkonstellation, wobei jeder Charakter mehrere Namen hat, die zu allem Überfluss sehr ähnlich sind, forderte mir höchste Konzentration ab. Als Einstieg empfehle ich deshalb ‚Schuld und Sühne‘, das mir persönlich besser gefiel und etwas leichter zugänglich scheint. *** Joseph Roth hingegen, ein Autor den ich durch die Uni entdeckte ist viel leichter zugänglich, doch nicht weniger grßarttig. Sein Roman Hiob lässt sich relativ zügig und leicht lesen, wartet aber trotzdem mit einer gehörigen Portion Qualität auf. Es ist gleichzeitig ein historisches Zeugnis der verlorenen Welt des Judentums in Osteuropa und ein visionäres Buch. Roth schreibt bereits Ende der 1920er Jahre über den zweiten Weltkrieg, als wisse er bereits, was da kommen wird. Beeindruckend. *** Nicht weniger beeindrucken kommt der Radetzkymarsch vom selben Autor daher. Diese Familiengeschichte, die gleichzeitig die Geschichte des Untergangs des österreich-ungarischen Kaiserreichs bezeichnet, ist eine großartige Leseerfahrung. Roth zeigt ein feines Gespür bei der Zeichunung seiner Figuren und verknüpft persönliche Schicksale und Geschichten mit den historischen Geschehnissen des gesamten Reiches. Gleichzeitig trifft er sehr gelungen die Stimmung des nahenden Krieges und der untergehenden Monarchie. Ich habe jedenfalls mehr über das Kaiserreich gelernt als jemals im Geschichtsunterricht und gleichzeitig noch eine großartige fiktive Familiengeschichte miterlebt. Es lohnt sich ungemein dieses vollkommen zu Unrecht viel zu wenig bekannte Buch zu lesen.

Gesehen. Ich bin ein Fuchs. Ich nannte diese Kategorie bewusst nicht „Geschaut“ denn so kann ich im Notfall – wenn ich mal keine aufregenden Filme oder Serien sah – auch schreiben: „Diesen Monat sah ich die zugefrorene Lahn.“ Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss… *** „Ob ich mit dir deutsche Comedy gucke? Äh, ich mach mir gerade ’ne Sonnenblumkernsuppe!“ Normalerweise gilt für sogenannte Comedy aus deutschen Landen ja, dass man sie meiden sollte, insbesonders wenn sie von den Privatsendern des deutschen Fernsehehens produziert wird. Schön ist es da, wenn man auf Serien stößt, die sich aus dieser Masse von unterirrdischem Humor auf angenehme Art und Weise hervorheben. Die Pro7-Produktion Dr. Psycho ist eine dieser schönen Ausnahmen. Die Mischung aus Krimi und Comedy funktioniert weit besser, als sich das zunächst anhört, was nicht zuletzt an der großartigen Leistung von Christian Ullmen liegt. Dieser trifft in der Rolle des Titelhelden genau den schmalen Grad zwischen sympathischer und tatsächlicher Peinlichkeit. Man kann über die Fehltritte von Dr. Max Munzl herzlich lachen und mehr als zwei Folgen schauen, ohne sich so sehr fremdschämen zu müssen, wie es zum Beispiel bei Stromberg oft der Fall ist. Dass diese tolle Serie nach zwei viel zu kurzen Staffeln von Pro 7 aufgrund schwacher Quoten abgesetzt wurde, da sie dem gewöhnlichen Zuschauer dieses Senders nicht gefiel, kann man wohl guten Gewissens als die „Tyrannei der Masse“ bezeichnen. *** Zu einer meiner vielen imaginären, in Englisch verfassten Listen gehört „Major European Cities Left To See“ Auf dieser Liste stand Amsterdam definitiv bisher ganz oben und kann nun seit diesem Monat endlich abgehakt werden. Und mir gefiel durchaus, was ich sah. Ich sah eine lebendige, aufgeweckte Hafenstadt. Eine Stadt, errichtet auf den Grundpfeilern ‚Sex‘ und ‚Drogen‘ möchte man fast sagen. Dass ich mehr Coffeeshops und Pubs als Museen von innen sah mag man verurteilen, aber mir ist das eher wumpe. Die allgemeinen Eindrücke muss ich noch verarbeiten und dann in eine Schublade packen, irgendwo zwischen Paris, Rom und Oslo. Bis dahin kann ich aber zumindest schonmal mein imaginäres Häkchen setzen: ☑ *** Man könnte meinen, dass ein Film mehr Handlung braucht als ein Gespräch zwischen vier Erwachsenen, um interessant zu sein. Tatsächliches Gemetzel steht in der Kinohierarchie vermeintlich über verbalem Gemtzel. Trotzdem wird der neue Roman Polanski-Film Der Gott des Gemetzels über die gesamte Länge von zugegeben kurzen 72 Minuten nicht im geringsten langweilig. Aus einem harmlosen Gespräch über eine Auseinandersetzung zwischen ihren Kindern entwickelt sich ein regelrechter verbaler Krieg zwischen den Protagonisten, von denen vor allen Dingen der großartige Christoph Waltz zu überzeugen weiß. Die Auseinandersetzung geht so weit, dass alle Beteiligten im Lauf der Handlung zu der Erkenntnis kommen, dass dies der schlimmste Tag ihres Lebens sei, während man als Zuschauer gefesselt ist von der Misere, in die sich die Figuren gegenseitig hineinreden. Ein absolut sehenswertes Filmerlebnis, nicht nur dadurch, dass es eine vollkommene Abwechslung von dem ist, was man im Kino gewöhnlich zu sehen bekommt.

Gelernt. Jeden Tag lernt man neue Dinge. Manche sind nützlich, andere vollkommener Unsinn, den kein Mensch braucht. Ich möchte meine Erkenntnisse teilen, schrecke dabei jedoch keinesfalls davor zurück, beide Kategorien zu bedienen. *** Dass mich mit den Wikingern mehr verbindet als mein nordisch anmutender Vorname und die leicht rötliche Färbung meiner Gesichtsbehaarung durfte ich erst in diesem Monat lernen. Diese unerschrockenen Männer machten zu ihren Zeiten die sieben Weltmeere unsicher, stichen wagemutig in See und fürchteten weder Hölle, noch Teufel. Und doch gab es eine Angst, die den Nordmännern des Nachts den Schlaf raubte: Olfrygt – die Angst vor Bierknappheit. Eine Vokabel, so wohlklingend wie bedeutsam. Wie lange treibt auch mich diese Angst bereits um – nie war ich in der Lage sie in Worte zu fassen. Die Wikinger aber schenkten meiner Angst einen Namen, denn auch sie wussten schon: Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist. Die einzige andere Angst, die bei den Wikingern desweiteren bekannt war, ist meines Wissens nach übrigens die Angst davor, dass Hägar der Schreckliche eines Tages lustig werden könnte. **** Dass trotz ‚andere Länder, andere Sitten‘ manche Dinge international Bestand haben ist eigentlich ganz beruhigend. Es ist schön, in den Niederlanden ein Ikea betreten zu können und genau zu wissen, wo man den Hot-Dog Stand findet. Aufregend ist es daher, wenn sich ganz unverhofft eine Erkenntnis wie folgende aufdrängt: Hot-Dogs gibt es in Holland bei Ikea für 50 cent! Wer das unspektakulär findet sollte sich vor Augen führen, dass dies ungefähr 150 % billiger ist als in heimischen Einrichtungshäusern. Meiner Rechnung zufolge versteht sich und ich muss leider gestehen, nicht mehr vollkommen sicher zu sein auf dem Gebiet der Prozentrechnung. Die Dimension dieser Erkenntnis wirkt allerdings exponentiell wenn man sich in die Situation von drei hungrigen, sparsamen und gleichzeitig kochfaulen Urlaubern versetzt. Der Posten „IKEA“ wäre auf meiner Reisekostenaufstellung nicht unbeträchtlich, wenn ich denn eine hätte. *** Mein Mobiltelefon kann an sich nicht besonders viel. Es macht keine Fotos, eignet sich nicht dazu im Internet zu surfen und verfügt lediglich über ein einziges, ganz und gar nicht fesselndes Spiel. Es sieht nicht besinders schick aus und der Wecker funktioniert nur dann, wenn ihm der Sinn danach steht. All das stört micht nicht im Geringsten, da mir solcherlei Schnickschnack relativ egal ist und doch bin ich begeistert von einer Fähigkeit meines Handys, die ich erst in diesem Monat entdeckte. Die Funktion nennt sich falscher Anruf und ist ganz einfach famos. Sie ermöglicht mir, in einem wählbaren Zeitabstand einen vermeintlichen Anruf zu erhalten. Doch nicht nur das! Neben der gewünschten Zeit, nach der der Anruf erfolgen soll, kann ich auch noch eingeben von wem ich meinen Fakeanruf bekomme. Gebe ich nun also den Namen einer Frau und eine dazugehörige ausgedachte Telefonnummer ein, macht mich diese geniale Funktion zum King. Social credibility nennt man das. Wie konnte ich bisher ohne diese Funktion überhaupt zurechtkommen in unserer erbarmungslosen Gesellschaft?

Aller guten Dinge [02/2012]

06/03/2012

…sind ja nunmal bekanntlich Drei. Jeden Monat dreimal Dinge die ich hörte, las, sah und lernte. Ohne Rücksicht auf Meinungen, die von meiner abweichen, Notwendigkeit der verbreiteten Information oder gar das Interesse des potentiellen Lesers. Ohne Anspruch auf Objektivität oder so. Zwischen pseudointellektuellem Kulturgedöns und Schrott. Zwischen „leider geil“ und „mehr so semi-super“. Diesmal: Februar – der Monat, der weniger Tage hat als alle anderen, deshalb schlecht drauf ist und die Menschen mit Temperaturen bis zu gefühlten minus 800 Grad ärgert.

Gehört. Ich liebe Musik. Ich höre jeden Tag Musik. Ich bin ein Musiknerd mit beängstigend viel nutzlosen Wissen. Ergo: diese Kategorie. *** „Es tut mir leid, doch ich muss leider gestehn, es gibt Dinge auf der Welt, die sind leider geil.“ Die stumpf daherstampfenden Elektrobeats mit eingängigen deutschen Texten von Deichkind gehört dazu. Leider? Viel getan hat sich auch auf dem 5. Studioalbum nicht viel bei den Jungs aus dem hohen Norden. Befehl von ganz Unten klingt immer noch ziemlich genauso wie „Aufstand im Schlaraffenland“ von 2006. Musikalische Weiterentwicklung, nein Danke! Schlimm ist das eigentlich nicht wirklich, denn das Konzept geht eben (leider) ziemlich gut auf. Ein daherkrachendes Monster wie „99 Bierkanister“ macht leider sehr viel Spaß beim Hören und sogar das schnulzige, an Alexander Marcus erinnernde „Der Mond“ sollte man eigentlich furchtbar finden, bei den Deichkids ist es aber eben leider geil, ebenso wie „Illegale Fans“, eine Hymne auf das illegale Herunterladen von Musik, produziert von Menschen, die vom Musikmachen leben. „Dieses Lied ist leider nicht verfügbar in ihrem Land / Unsere Antwort kennt ihr sicher, sie heißt Widerstand. / 6 Milliarden Terrabyte, die Leitung brennt wie nie / Das hier ist kein Klingelstreich, das ist Anarchie.“ Die ganze Platte bewegt sich textlich zwischen intelligenten Beobachtungen und Anspielungen und stumpfer Verherrlichung der eigenen Faulheit und Partygegröle à la „Roll das Fass rein“, jedoch nie ohne Augenzwinkern und stets mit der Deichkind-typischen Verweigerung jeglicher Zurschaustellung von Ernsthaftigkeit. Übersongs wie „Remmidemmi“ oder „Arbeit nervt“ sucht man zwar vergebens, aber bis auf einige Totalausfälle sorgt das neue Album durchgängig für gute Stimmung. Prinzipiell gilt bekanntlich sowieso, dass man die Hamburger live erleben muss um zu verstehen, was daran toll sein soll. Das zu beschreiben fällt schwer aber „wir befehlen euch zu feiern / euch an uns zu berauschen / und wenn ihr davon pischern müsst / dann lasst es einfach laufen“ gibt eine ungefähre Vorstellung. Mit diesem Image spielt die Band ganz bewusst – „Die Platte von Deichkind war nicht so mein Ding / Aber ihre Shows sind leider geil“ Diese Strategie zur Abwehr von Kritik ist nicht wirklich neu, effektiv ist sie aber trotzdem noch immer. Daher gilt: mal wieder alles richtig gemacht, ein Album abgeliefert das leider sehr geil ist und epische Textzeilen wie die folgende beinhaltet: „Ein Herz aus Hack / MIt Pfeffer, Salz und Zwiebeln / Ein Herz aus Hack / Soll die Liebe besiegeln.“ Man kann von der Musik halten, was man mag, Dummheit kann man Deichkind nicht unterstellen, denn dafür stellen sie sich einfach viel zu clever an. Oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: „Tu doch nicht so / Du magst es doch auch.“  ***  Nicht wirklich neue Musik und überhaupt garnicht mit dem vorhergegangen zu vergleichen aber auch ziemlich geil ist der folgende Song, über den ich im letzten Monat stolperte. Als Alternative zum stumpfen Elektro/Hip-Hop Hybrid biete ich daher feinste Gitarrenmusik aus dem Alterswerk eines der ganz großen Musiker der letzten Jahrzehnte an. Ich jedenfalls bin froh, dieses wunderbare Lied zufällig entdeckt zu haben und habe das dringende Bedürfnis, diese Erfahrung mit der Welt zu teilen. Hier geht es zum wunderbaren All The World Is Green von dem Mann mit der vermutlich markanteste Stimme im ganzen Musikgeschäft, Tom Waits. *** Außerdem hörte ich aus gegebenem Anlass von dem noch die Rede sein soll, endlich mal wieder ausgiebig Rainald Grebe. Später mehr dazu.

Gelesen. Ich studiere Europäische Literatur. Erklärung genug? Nein? Okay, ich schreibe unglaublich gern über Bücher, die ich gelesen hab. Auch wenns niemand juckt! *** Da sich auf dem Buchrücken schon Empfehlungen von so illustren Personen wie Elke Heidereich und Joschka Fischer befinden, muss ich ja eigentlich nicht mehr viel sagen. Weiß eigentlich jemand, in welcher Konjunkturphase der eigenen Körperfülle sich Joschka Fischer im Moment befindet? Zur Sache: Der Schatten des Windes vom spanischen Autor Carlos Ruiz Zafón ist trotz der oben genannten Empfehlungen ein recht gelungenes Buch, das man trotz seiner Fülle von Seiten schnell verschlingen kann. Es ist hauptsächlich eine Art Mystery-Roman, allerdings wesentlich besser als das jetzt zunächst klingt. Gleichzeitig bietet es nämlich noch eine Coming-of-Age Geschichte, einen mehr oder weniger historisch fundierten Einblick in die Franco-Ära, eine Liebeserklärung an das Lesen und vor allen Dingen an die Stadt Barcelona. All das ist dann irgendwie noch ganz nett verpackt und gut geschrieben, was den Erfolg des Buches wohl auch rechtfertigt. Lieber dieser Roman als all der andere Schund, der sich an der Spitze der Bestsellerlisten tummelt und in die „Zu verschenken“-Kiste aus der ich es herausgefischt habe, gehört es schonmal garnicht. *** Der Spaß am Lesen kann sogar einem begeisterten Leser wie mir gehörig vergehen, wenn man in einem Monat so viel Zeit damit verbringt, in der Bibliothek zu sitzen und endlose Texte von gestelzter Sekundärliteratur zu lesen. Über die Möglichkeiten der Literatursatire des Sturm und Drang möchte ich nicht ein weiteres Wort mehr verlieren, da ich finde, dass 20 Seiten Hausarbeit mehr als genug waren. Auf dem Foto der wunderschönen Marburger PhilFak sieht man übrigens ganz am unteren Rand des hinteren Turmes das Stockwerk, in dem ich die Hälfte des Ferbruars verbracht habe und ja, das ist genauso trostlos wie es aussieht. *** Viel Zeit zum Lesen blieb da nicht mehr und schon garnicht, um sich Gedanken über das Gelesene zu machen. Daher fällt mir auch kaum etwas zu Tonio Kröger ein, dem einzigen von 2 Büchern, die ich im Februar las – eine außergewöhnlich niedrige Zahl. Vielleicht noch so viel: es war das erste Buch, das ich überhaupt von Thomas Mann las – Asche auf mein Haupt – und irgendwie hoffe ich ja doch, das mich die anderen mehr fesseln werden.

Gesehen. Ich bin ein Fuchs. Ich nannte diese Kategorie bewusst nicht „Geschaut“ denn so kann ich im Notfall – wenn ich mal keine aufregenden Filme oder Serien sah – auch schreiben: „Diesen Monat sah ich die zugefrorene Lahn.“ Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss… *** Dass ich Rainald Grebe für den lustigsten Menschen in ganz Deutschland halte, sollte kein Geheimnis mehr sein. Ob alleine, mit Band oder mit Orchester, der Mann hat mich noch immer begeistert und doch hatte ich beim letzten Konzert mit Orchester in Bremen den Eindruck, eine allzu routinierte Show zu sehen. „Ich bin in letzter Zeit sehr berühmt geworden. Ich hab die Waldbühne in Berlin gerockt, ich bin mit einem Orchester durch die großen Hallen dieser Republik getourt. Alles wurde immer fetter, ich auch.“ So heißt es im Werbetext zum neuen Programm „Das Rainald Grebe Konzert„. Den letzten Punkt mit dem Plakat des Programms in Verbindung zu bringen wäre ein bisschen frech, aber auch okay. Dafür heißt es in der neuen Show wieder abspecken: es gibt Rainald pur, mit Klavier, Balletkleidchen und Indianerschmuck. Es gibt viele lustige Geschichten, Kinderfotos und gelungene neue Lieder. Endlich mal wieder gibt es ein Programm das einen roten Faden hat und durchgängig überzeugt. Als großes Finale gibt es im Kulturhaus Gotha – einem Gebäude, das laut „DDR-Bau“ schreit – die Hymne zur Anfahrt durch das ländliche Thüringen und das skurrile Publikum mit Orgelbegleitung: „Thüringen, Thüringen, Thüringen / Ist eines von den schwierigen Bundesländern / Denn es kennt ja keiner außerhalb von Thüringen“ Ob es nun zurecht „das Land ohne Prominente“ ist, sei mal dahingestellt. Ein bisschen froh über das Autobahnschild „Willkommen in Hessen“ war ich zugegebenermaßen allerdings schon. **** Zweimal sah ich im Februar die Kassel Huskies in der Eissporthalle Kassel. Ich sah tolle Eishockeyspiele von denen vor allen Dingen das erste an Spannung und überraschendem Ausgang kaum zu überbieten war – und das wohlgemerkt in der dritten Liga. Was ich damit eigentlich sagen will? Weiß ich auch nicht genau. Dass Eishockey eine feine Sache ist und dass es sich wegen der Spannung, der Stimmung und überhaupt lohnt, sich das mal anzuschauen, am Besten in Kassel. Irgendwie steckt halt doch in jedem ein kleiner Lokalpatriot, auch wenn er sich gut verstecken kann. Wer immer noch nicht überzeugt ist, dem sei dieses Zitat von Steve Rushin ans Herz gelegt: „Mit 18 hat der durchschnittliche Amerikaner 200.000 Gewalttaten gesehen. Die Meisten davon treten in Spiel 1 in einem NHL Play Off Spiel auf.“  **** Bereits in der zweiten Ausgabe muss ich mich auf § 1 der Kategorie „Gesehen“ berufen und sage daher: „Diesen Monat sah ich die zugefrorene Lahn.“ Soweit ich weiß ist die aber ungefähr seit dem 100jährigen Krieg nicht mehr zugefroren gewesen und daher finde ich es schon irgendwie erwähnenswert. Andererseits ist das noch lange kein Grund, am Lahnufer alle 5 Meter einen Kunststudenten zu sehen, der mit seiner teuren Spiegelreflexkamera künstlerische Fotos davon schießt und rechtfertigt auch nicht gefühlte 500 facebook-Statusmeldungen mit dem Inhalt: „Winter Wonderland in MR ♥♥♥“ plus total individuellem Foto von der Person auf dem Eis. So hat eben alles seine zwei Seiten.

Gelernt. Jeden Tag lernt man neue Dinge. Manche sind nützlich, andere vollkommener Unsinn, den kein Mensch braucht. Ich möchte meine Erkenntnisse teilen, schrecke dabei jedoch keinesfalls davor zurück, beide Kategorien zu bedienen. *** Wie verkaufe ich diese Erkenntnis, ohne als bekloppt oder Alkoholiker abgestempelt zu werden? Ich bekam also im Februar aus verschiedenen Quellen Hinweise, mit einer Flasche kalten Bieres unter der Dusche zu stehen sei eine äußerst feine Sache. Da man sich neuen Dingen grundsätzlich nie verschließen sollte, tat ich es. Nun kann ich im Brustton der Überzeugung sagen, dass es wirklich eine feine Sache ist. Auf jedermanns „1000 Things To Do Before I Die“ Liste sollte es draufstehen, da es zudem noch ziemlich einfach zu erreichen ist. Jetzt kann man mich zwar als bekloppten Alki abstempeln, aber dafür weiß ich endlich wie es ist, sich unter dem prasselnden Wasser einer heißen Dusche einen Schluck herrlich kühlen Bieres zu genehmigen. *** Zwar stapelt er erst einmal tief und behauptet, so spontan keine Grundsatzrede liefern zu können, aber „Ich bin noch nichtmal gewaschen und bin also vor ihnen“ klingt doch irgendwie sehr grundsätzlich und sollte meiner Meinung nach zum Manifest von Joachim Gauck werden. Darüber, dass wir nun einen alten Mann zum Bundespräsidenten bekommen, der „überwältigt und ein bisschen verwirrt ist“ und vor lauter Verwirrung schonmal verkappte Nazis wie Thilo Sarrazin als mutig bezeichnet, lässt sich streiten. Das man jetzt aber auch als ungewaschener Mensch endlich zum höchsten Amt im Staat aufsteigen kann, halte ich persönlich für eine tolle Entwicklung. Gerade in Bezug auf Klimawandel und Trinkwasserknappheit in Afrika ein gutes Zeichen: Unsere Politiker duschen nicht zweimal täglich und sind außerdem sehr ehrlich. Demnächst bei der Pressekonferenz des Bundespräsidenten: „Meine Damen und Herren entschuldigen sie meine Verspätung, aber ich war soeben noch auf Toilette. Kacken.“ *** Als Zebroide werden Kreuzungen zwischen Zebras und anderen Tieren bezeichnet. Es gibt das Zorse (Zebra + Horse) und den Zonkey (Zebra + Donkey) Das klingt nicht nur super, sondern sieht außerdem noch extrem witzig aus. Ob Zebras jetzt weiß mit schwarzen Streifen oder schwarz mit weißen Streifen sind, weiß ich leider immer noch nicht, aber man soll sich ja schließlich an den kleinen Dingen erfreuen und ich verbuche diese Erkenntnis einfach mal als Teilerfolg.

Um die Welt in 80 Songs – Drittes Kapitel

16/02/2012

Die Straße von Gibraltar ist an ihrer schmalsten Stelle genau 14.1400 Meter breit, wenn man sie schwimmend überqueren möchte, dann legt man aufgrund von Ströumungen und Abdriften in der Regel aber mindestens 20 Kilometer zurück. Trotzdem sind 6 Monate eine ziemlich lange Zeit, um diese Meerenge zu bezwingen. Ziemlich genau so lange ist es nämlich her, dass ein gewisser ‚King of Spain‘ uns nach Gibraltar führte und das weitere Schicksal dieser abenteuerlichen, wenngleich vollkommen fiktiven Erdumrundung in unsere eigenen Hände legte. Nach Afrika musste man also ohne fremde Hilfe gelangen und man kann sich ausmalen, wie beschwerlich das gewesen sein muss, wenn es ein halbes Jahr gedauert hat. Sollte mensch in der Zwischenzeit vergessen haben, was ich hier tue und sich fragen „Was soll der Mist eigentlich?“ möge er sich bitte hier einlesen. Sollte mensch danach immernoch denken „Was soll der Mist eigentlich?“ sei es ihm ausnahmsweise gestattet, diesen Blog umgehend zu verlassen. Fakt ist, dass wir wieder festen Boden unter den Füßen haben und uns somit endlich in Afrika befinden. „Mein Gott: Trommel, Trommel, Trommel. Der dunkele Kontinent. Ja, ja, Wiege der Menschheit – aber leider auch Wiege der Monotonie,“ hat Max Goldt einmal über afrikanische Musik geschrieben und auch wenn ich sonst dazu neige, diesem grandiosen Autor alles zu glauben, möchte ich mich nun doch selbst auf die Reise begeben und dem einmal auf den Grund gehen. Rein virtuell, versteht sich. Vámonos!

Ich muss gestehen, dass ich trotz allem unnütz-nerdigen Musikwissen ein Ignorant bin, wenn es um afrikanische Musik geht. Ich kenne mich da ganz einfach nicht aus und dementsprechend liegt eine ungewisse Reise vor unserer kleinen, fiktiven Reisegruppe. Um so beruhigender ist es da, von einem alten Bekannten in Empfang genommen zu werden. Africa Unite! schallt es uns von unserem neuen Reiseführer entgegen, bei dem es sich um keinen  Geringeren als den großen Bob Marley handelt. Gute 3.500 Kilometer begleitet uns die Legende an der Westküste Afrikas entlang auf unserer ganz persänlichen Rallye Dakar und ohne aus dem Nähkästchen zu plaudern oder Klischees bedienen zu wollen, kann ich wohl behaupten, dass es ein besonders entspannter Reiseabschnitt ist, den wir mit ihm zurücklegen und es trotz der Wüstenlandschaft, die wir passieren, selten an Grünpflanzen mangeln sollte. Entsprechend fröhlich ist die allgemeine Reiselaune, als Bob uns schließlich in der Hauptstadt des Senegal unserem neuen Reisebegleiter übergibt. Youssou N’Dour führt uns durch die grünen Regenwaldgebiete Südwestafrikas, wo wir auf Elefanten und Nashörner treffen und seinem Wissen lauschen: Immense, immese is your wealth / Immense, immense are your dreams / Dream again, Africa dream again. Während unsere Reisegruppe bisher zumeist in Begleitung der jeweiligen Einheimischen unterwegs war, ist der Kulturschock um so größer, als man mitten in Afrika auf Deutsche trifft. Nun ist es ja allgemein bekannt, dass diese quasi überall herumlungern und wenn man solchen Treffen daher schon nicht aus dem Weg gehen kann, so ist man doch heilfroh, wenn es sich bei den Landsleuten um Skamusiker handelt – schließlich trifft man im Ausland wohl lieber auf Sondaschule als auf schwitzende, dicke Deutsche in Safarianzügen. Froh gestimmt über diesen Umstand sind wir guter Dinge und feiern die Zusammenkunft erst einmal gehörig mit einem Tänzchen. Pogo in Togo ist angesagt und es wird ausgelassen gefeiert. Gut, dass niemand zuschaut, denn sonst würde es vermutlich gleich wieder heißen: „die peinlichen Deutschen im Ausland.“

Verkatert und kaputt trennen wir uns am nächsten Tag wieder von unseren neuen Freunden und machen uns bereit für die Weiterreise, die alles andere als spaßig werden wird, denn nun beginnt der ernsthafte Teil unserer Afrikareise. Nachdem wir uns bisher stets an der Küste aufhielten, betreten wir nun das Innere des Kontinents und damit auch ein Kriegs- und Krisengebiet. Wir sind in Darfur, im Süden des Sudan. Hier sind laut UN-Schätzungen seit 2003 im Bürgerkrieg 300.000 Menschen gestorben und auch wenn uns nichts ferner liegt als Katastrophentourismus, dürfen wir auf unserer Durchquerung Afrikas vor diesen schlimmen Zuständen nicht die Augen verschließen. Es bleibt ein mulmiges Gefühl und Dankbarkeit dafür, an der Seite von Mattafix zu reisen, die sich hier auskennen und ebenfalls nicht bereit waren, die Augen zu verschließen, sondern auf das Elend in Darfur explizit hinweisen. Ernstere Töne werden angeschlagen: There’s disaster in your past / Boundaries in your path [..] You don’t have to be extraordinary, just forgiving / Those who never heard your cries / You shall rise. Wir verlassen Zentralafrika nachdenklich, doch nicht ohne einen Funken Hoffnung. Sooner or Later we must try… Living. 

Unter diesen Eindrücken verläuft die weitere Reise nachdenklich und ohne weitere Zwischenstopps erreichen wir schließlich bereits die Südspitze des Kontinents. In Südafrika ist jedoch keineswegs aufgesetzt-gute Waka-Waka-Laune angesagt, denn in Gesellschaft von Dear Reader bleibt die Stiummung nachdenklich. Land, land of my birth / Are you my mother? / Or am I an orphan? / Where, where do I belong? / Will I find a place in this world? / Or forever just wander around. Das sind die Fragen, die sich wohl jeder Weltreisende gelegentlich stellt: bin ich eigentlich noch aus Reiselust unterwegs? Oder ist das eine Flucht, ein ewiges, zielloses Umherwandern? Um diese Fragen zu verdrängen wenden wir uns wieder unseren Gastgebern zu und den Problemen, die sie beschäftigen. Die Vergangenheit lastet schwer auf diesem Land – eine Tatsache die nicht zuletzt in der Musik deutlich wird. Please don’t look at me that way / I already live with the guilt that I own / From my forefathers‘ past, singt die südafrikanische Band mit britischen Wurzeln und bittet schließlich um Versöhnung mit der Begründung: Same, we’re both the same / We share the same hearts / We’re made of the same parts. 

Kaum optimistischer geht die Reise weiter in Richtung Süden. In Johannesburg ist es einmal mehr die Vergangenheit, die uns einholt, diesmal in Form von der Erinnerung an Aufstände in den Slums der riesigen Stadt. Well I hate it when the blood starts flowin / But I’m glad to see resistance growin / Somebody tell me what’s the word / Tell me brother have you heard / Of Johannesburg. Postiv daran ist lediglich, dass es uns diese vollkommen erfundene Form des Reisens ermöglicht, Südafrika in Gesellschaft des im letzten Jahr viel zu früh gestorbenen Musikers Gil Scott-Heron zu bereisen. Als ‚poet, jazz-musician and rap pioneer‘ bezeichnet in der Guardian in seinem Nachruf und ich bin mir sicher, für eine gemeinsame Fahrt von Johannesburg nach Kapstadt hätte es kaum einen interessanteren Reisebegleiter geben können. Dort angekommen treffen wir nicht nur The Young Veins, sondern machen auch eine andere, flüchtige Bekanntschaft. I saw you / I met you / I loved you / I left you / In Cape Town. Die Zeit rennt und dabei bleiben nunmal oft Dinge auf der Strecke und manchmal sogar Menschen, die man nie wieder sehen wird, denn ehe wir uns versehen befinden wir uns bereits auf dem Weg in Richtung Südamerika. Schwimmend werden wir den Atlantik wohl kaum überqueren können und es bleibt zu hoffen, dass nicht erneut ein halbes Jahr verstreichen wird, bis wir Festland betreten.

P.S.: Tracklist des dritten Reiseabschnitts: 21. Bob Marley: Africa Unite 22. Youssou N’Dour: Africa Dream Again 23. Sondaschule: Pogo in Togo 24. Mattafix: Living Darfur 25. Dear Reader: The Same 26. Gil Scott-Heron: Johannesburg 27. The Young Veins: Cape Town.

Aller guten Dinge… [01/2012]

05/02/2012

…sind ja nunmal bekanntlich Drei. Wie es der Zufall so will, werde  ich Kultur (oder so) stets zu den guten Dingen zählen und damit nicht genug will es der Zufall weiterhin, dass ich recht gerne meinen Senf abgebe zu Kultur (oder so). Sollte es den ausgefuchsteren Lesern mittlerweile aufgefallen sein, dass hier erstaunlich viele Zufälle am Wirken sind, so bitte ich sie inständig darum, ihren Verdacht für sich zu behalten, ich hätte das hier bewusst eingefädelt, um das Internet nun regelmäßig mit meinem Privatgeschreibe über Musik, Literatur und Film zu beschmieren. Das Internet mit Geschriebenem zu beschmieren finde ich übrigens eine schöne Vorstellung, fast so als wäre das Internet eine große steinerne Mauer, die voll von Graffitis ist. Hier kommen also dann meine ganz persönlichen Tags – wie man auf neudeutsch sagt. Aber von nun an weniger eingestaubte Redensarten, die bestenfalls noch von Germanistikprofessoren bemüht werden, und mehr Kulturgedöns. Mir fiel auf, dass es mir schwerfiel, viel zu schreiben. Daher fiel die Entscheidung, vielleicht eine Vielzahl von Dingen in einem regelmäßig fälligen Zeitabstand fallen zu lassen. Oder: ich schreibe jetzt jeden Monat über 3 Dinge, die ich las, sah, hörte und lernte. Ob das klappt? Vielleicht. Ob das jemand lesen will? Hoffentlich! Ob mich das interessiert? nicht die Bohne! Ob ich es ohnehin tun werde, egal ob das jemand lesen will? Na, aber hallo!

Gehört. Ich liebe Musik. Ich höre jeden Tag Musik. Ich bin ein Musiknerd mit beängstigend viel nutzlosen Wissen. Ergo: diese Kategorie. *** Im Januar ist es ja relativ leicht, sich aus dem Fenster zu lehnen und zu sagen: „Das ist für mich schon jetzt das Album des Jahres.“ Ich mache das nicht. Im Gegenteil. Die erste richtige Studioscheibe von Kraftklub ist zwar ganz nett, aber wird garantiert nicht das Album des Jahres werden. Bei weitem nicht, sogar. Die Platte ist viel zu unkantig und doof produziert und klingt sehr nach der Majorlabelplattwalze. Das klingt wie ein Klischee, aber man kann der Platte wirklich die auf Massenkompatibilität getrimmte Produktion anhören, ohne Scheiß. Auch Songs für Liam klingt auf CD nicht so richtig super, hat mich aber trotzdem verzaubert. Wenn du mich küsst / schreibt Noel wieder Songs für Liam / Kommen unsere Freunde zurück aus Berlin / Wenn du mich küsst / Ist die Welt ein bisschen weniger scheiße. Ich empfehle statt der Studioversion die äußerst sympathische Liveversion bei tape.tv. Sympathisch auch folgende Textzeile: Vieles wäre nie passiert / Dinge, die vermeidbar sind / Dann gäb es keinen einzigen romantischen Till Schweiger Film. *** Als Album ingesamt schon stimmiger ist die neue Scheibe von Marsimoto. Wer deutschen Hip-Hop mag und sich von einer per Computer hochgepitchten Stimme nicht allzusehr stören lässt, kann hiermit sehr viel Spaß haben. Intelligente Texte mit unfassbar vielen intertextuellen Anspielungen in sämtliche Richtungen treffen auf entspannte Beats und eingängige Melodien. Endlich wird wieder geraucht / Komm schon, Marsi gibt einen aus / Grüner Rauch zieht übers Land / Grüner Samt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Anspieltipps: Grüner Samt, Angst, Für Uwe. *** Zum Abschluss noch ein Lied, das ganz offensichtlich nicht nur mich begeistert hat. Knapp 50 Millionen youtube-Aufrufe in gerade einmal 4 Wochen sprechen eine ziemlich deutliche Sprache. Jeder hats gesehen, jeder spricht darüber, jeder ist begeistert. Aus dem großartigen Song Somebody That I Used To Know von Gotye eine noch bessere Coverversion zu machen, ist schon eine kleine Sensation. Walk Off The Earth ist dies gelungen. Das Ganze dann aber mit 5 Leuten auf einer einzigen Gitarre zu spielen ist schlichtweg grandios. Believe the hype! Er ist verdient und angemessen. Hier klicken und begeistert sein. Begeistert insbesondere von dem Typen ganz rechts – der coolsten Sau des kurzen Jahres 2012. 4 1/2 Minuten lang keine Miene verziehen und alle Nase lang einmal – pling – die Saiten anzuschlagen zeugt von cojones!

Gelesen. Ich studiere Europäische Literatur. Erklärung genug? Nein? Okay, ich schreibe unglaublich gern über Bücher, die ich gelesen hab. Auch wenns niemand juckt! *** Es gibt Bücher, die stehen seit Jahren auf meiner imaginären „Books To Read As Soon As Possible“-Liste und trotzdem bin ich irgendwie nie dazu gekommen, sie zu lesen. Wir lernen: 1. Ich habe imaginäre Listen im Kopf – immerhin keine echten Listen, die ich aufschreibe… 2. Diese Listen verfasse ich anscheinend auf Englisch. Ganz oben auf dieser Liste stand seit Ewigkeiten The Catcher In The Rye, eines dieser Bücher, von denen man schon eine gewisse Vorstellung hat, bevor man sie tatsächlich selber gelesen hat. Diesen Monat kam ich endlich dazu, meine Liste abzuarbeiten und das Warten hat sich gelohnt. Bin ich normalerweise sehr skeptisch gegenüber Jugendsprache, Slang oder sonstiger Vergewaltigung der geschriebenen Sprache, war ich von der Umsetzung in J.D. Salingers Kultroman sehr angetan. Der Ich-Erzähler Holden Caulfield mit seiner depressiven Grundstimmung und den maßlosen Übertreibungen wirkte auf mich sehr überzeugend. Ein weiterer imaginärer Haken auf meiner endlosen Liste. ☑ *** Der Januar war für mich ein bisschen der ultimative Sherlock Holmes Monat. (siehe unten) Nachdem ich mich von den moderenen Version ausreichend hatte berieseln lassen, wuchs in mir das Interesse am Originalstoff und so griff ich zu meiner Ausgabe von Sir Arthur Conan Doyles Geschichten, die ich vor Jahren von meinem Bruder stibitzt hatte. Die Erkenntnis: durchwachsen. Der Mann war eindeutig Vollprofi – also Doyle, nicht mein Bruder; die Tatsache, dass seine Stoffe noch heute als Vorlage für Film und Fernsehen dienen, spricht eigentlich für sich. Außerdem bin ich fasziniert davon, wie er jede Geschichte auf genau 25 Seiten zu Ende bringt. Andererseits ist es genau dieses abgeklärte, professionelle, das mich stört. Der Stil ist sehr nüchtern, viele Fälle lesen sich wie die Akten von Kriminalfällen. Das ist nicht jedermanns Bier, meines ehrlich gesagt auch nicht. Trotzdem Daumen hoch dafür, dass er uns Sherlock Holmes schenkte, der uns noch heute Unterhaltung und Zerstreuung bietet. ***  Zuletzt noch ein Buch, das ich für die Uni las. Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Darstellung des baltischen Adels im frühen 20. Jahrhundert jemals auch nur einen Rattendreck interessieren würde. Falsch gedacht. Eduard von Keyserlings wunderbarer Roman Abendliche Häuser hat mich eindeutig überrascht und gerade deswegen so begeistert. Der gute Mann kann eine tolle Atmosphäre erzeugen und schreibt ziemlich mitreißend schreiben. Zu Unrecht in Vergessenheit geraten, genau wie die famosen Namen seiner Charaktere – Fastrade, Bolko und Siegwarth. Ich taufe meinen ungeborenen Sohn schon jetzt auf den Namen Bolko Nolde!

Gesehen. Ich bin ein Fuchs. Ich nannte diese Kategorie bewusst nicht „Geschaut“ denn so kann ich im Notfall – wenn ich mal keine aufregenden Filme oder Serien sah – auch schreiben: „Diesen Monat sah ich die zugefrorene Lahn.“ Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss… *** Ich finde es gibt schlechtere Starts ins neue Jahr als diesen: den gesamten 1. Januar verkatert zu zweit im Bett zu liegen und eine DVD-Box zu schauen. Besonders wenn es sich bei der Box um die erste Staffel von Six Feet Under handelt. Diese HBO-Serie wollte ich auch schon seit Ewigkeiten schauen und erneut hat sich das Warten gelohnt. Ausgestattet mit schwarzem Humor, überzeugenden Charakteren und definitivem Suchtpotenzial. Die erste Staffel war etwa am 3. Januar vollständig geschaut und ich kann es kaum erwarten, endlich die restlichen 3 zu verschlingen. *** Angefangen hat mein inoffizieller Sherlock Holmes Monat mit einem Kinobesuch der neuen Hollywood-Verwurstung. Ich fand den ersten Teil gut, wenngleich übertrieben. Der zweite ist noch übertriebener und meiner Meinung nach dementsprechend noch besser. Trotz ‚historischem‘ Setting knallte, explodierte und krachte es alle Nase lang. Da wurde verfolgt, geprügelt und sich gegenseitig beschossen. Die Dedektivarbeit gerät dabei ein bisschen in Vergessenheit, aber ich finde Hollywood darf das hin und wieder, wenn dabei ein so unterhaltsamer Film herauskommt. Außerdem finde ich Robert Downey Jr. als Holmes ziemlich passend und freue mich schon jetzt auf die Fortsetzung, die man sich klugerweise von Seiten der Macher offenhielt. *** Ganz anders als die neuen Filme kommt da die BBC-Serie Sherlock daher. Im modernen Gewand zwar, aber mit einem stärkeren Fokus auf die Holmes‘ Kombinationsgabe. Statt Dinge in die Luft zu jagen spielt Benedict Cumberbatch alias Sherlock lieber mit seinem Smartphone, während Watson in seinem Blog die Fälle dokumentiert. Das Konzept klingt gewagt, funktioniert aber wunderbar. Die Serie macht Lust auf mehr und der einzige Nachteil bleibt die magere Anzahl von 3 (zugegeben sehr langen) Episoden der ersten Staffel. In meinen Kopf bekommen muss ich auch noch die Tatsache, dass Martin Freeman gleichzeitig Dr. Watson und Bilbo Beutlin ist. Verrückte Welt!

Gelernt. Jeden Tag lernt man neue Dinge. Manche sind nützlich, andere vollkommener Unsinn, den kein Mensch braucht. Ich möchte meine Erkenntnisse teilen, schrecke dabei jedoch keinesfalls davor zurück, beide Kategorien zu bedienen. *** Es ist sehr einfach, sich in Menschen zu täuschen. Man kann versuchen, sie innerhalb eines halbstündigen Gespräches kennenzulernen, aber am Ende kann es dann trotzdem passieren, dass man plötzlich mit einem schweigsamen Faulenzer seine Wohnung teilt, der nichts besseres zu tun hat, als die Bude trotz vorheriger Absprache vollzuqualmen und sich im Allgemeinen astrein durchzuschnorren. Ins Detail zu gehen wäre müßig, aber es bleibt zu erwähnen, dass alle schlechten Dinge auch ihr Gutes haben. So dient der unliebsame Mitbewohner als Antrieb, den längst überfälligen Umzug in die Hand zu nehmen und man landet in einer tausend mal schöneren Wohnung. Somit wird der Fehlgriff in der Kategorie „aus Fehlern lernen“ verbucht und insgeheim – ganz leise, kaum hörbar – ein Dankeschön an den Unsympathen ausgesprochen. Danke für alles, ich hoffe wir sehen uns nie wieder! *** Die höchste Strafe, die jemals für das Herunterladen von Musik verhängt wurde, beträgt 1,2 Millionen US-Dollar. Das klingt nicht irre viel in einer Welt, in der täglich über milliardenschwere Rettungspakte und Millionen an Managerboni diskutiert wird. Bedenkt man aber die Tatsache, dass Otto Normalinternetpirat keine Millionengehälter verdient und die verklagte Dame lediglich 24 Songs herunterlud – ein Satz von 80,000 Dollar pro MP3 – dann hinterlässt diese Erkenntnis doch zumindest Stoff zum Nachdenken, wie ich finde. *** Last but not least möchte ich dem geneigten Leser eine neu gewonnene Erkenntnis nicht vorenthalten. Die Kombination von falschem Schnauzer und Polizeimütze ist denkbar schlecht. Jeder, ich wiederhole jeder, sieht damit automatisch aus wie ein Mitglied der Village People. Ungelogen!

F**ken und Bier – Das XY-Konzert der die ärzte

06/01/2012

Es scheint zwar ein allgemeines Ärgernis zu sein, aber mir kommt es so vor als ob es hier in Marburg besonders lästig sei. Egal, welchen Studiengang man gewählt hat, an einem elendigen Thema kommt man nicht vorbei: Gender. Auch mir ging es da nicht anders. Vor einigen Wochen saß ich also frühmorgens in einem Seminarraum und hörte (mehr oder weniger) erwachsenen Menschen dabei zu, wie sie mit mir rätselhafter Ernshaftigkeit so bedeutsame Dinge diskutierten wie die Frage, warum wir in öffentlichen Gebäuden eigentlich geschlechterspezifisch getrennte Räume aufsuchen um unsere Notdurft zu verrichten. Hurra, dachte ich und wünschte mir, ich hätte an diesem Morgen statt der gewohnten Tasse Kaffee hochprozentigen Alkohol zu mir genommen. Es hätte die folgenden anderthalb Stunden vermutlich leichter gemacht. Anfangs noch belustigt, später immer verzweifelter hörte ich mir Diskussionsbeiträge wie „in der Grundschule hatte ich kurze Haare und habe Jungensachen getragen, da haben mich alle gleich ganz anders behandelt“ an und musste irgendwann feststellen, dass meine Kopfschmerzen keineswegs von einer Abneigung gegen den Themenkomplex an sich stammten, sondern darauf zurückzuführen waren, dass ich unentwegt den Kopf auf die Tischplatte schlug. Vollkommen am Ende meiner Nerven verließ ich 90 kaugummizähe, endlose Minuten später den Seminarraum und hoffte, mich nie wieder mit so einem Scheiß befassen zu müssen – es wäre nämlich tatsächlich auch mal nett, sich zur Abwechslung wirklich mit Literatur zu beschäftigen. Trotzdem freute ich mich auf eine Lehrstunde in praktischen Gender Studies, als ich auf der Homepage meiner langjährigen Lieblingsband folgende Ankündigung las: Die Ärzte spielen im Dezember 2011 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Konzerte in der Dortmunder Westfalenhalle. Ein Konzert ausschließlich für Männer, eines für Frauen. Auch die beste Band der Welt weiß natürlich, dass es Leute geben würde, die sich daran stören würden und antwortet im Vorraus auf die Frage „ICH BIN TRANSGENDER ODER CROSSGENDER ODER IM FALSCHEN KÖRPER GEBOREN ODER TRANSVESTIT/IN ODER TRAVESTIT/IN ODER SCHWUL ODER LESBISCH ODER VERKLEIDE MICH GERN ALS DAS ANDERE GESCHLECHT.“ mit der einfachen Antwort: „Das spielt keine Rolle. Für das XY-Konzert galt: Entscheidend ist der Geschlechts-Status als MÄNNLICH im Sinne des gesetzlichen Melderegisters.“ Das Schöne an dieser Band ist eben, dass sie sich einen feuchten Dreck darum schert, was man über sie denken könnte. Sie machen einfach. All jenen, die sich dadurch in irgendeiner Form gekränkt fühlen und meine oben getroffenen Aussagen für sexistisch/patriarchalisch/phallozentrisch halten, sei an dieser Stelle noch eines gesagt: es interessiert mich ungefähr so viel wie die Tatsache, dass Gerüchten zufolge in der Volksrepublik China kürzlich ein Sack Basmati umfiel.

Soweit also die Theorie, aber wie sieht das in der Praxis aus, wenn die nahezu ausverkaufte Westfalenhalle sich ausschließlich mit Männern füllt? An der Halle angekommen zunächst einmal wie vor einem typischen Ärztekonzert. Ein Haufen Menschen mit bedruckten T-Shirts und Kapuzenpullovern drängt sich vor den Eingängen. Es wird Bier getrunken und viel geraucht. Auffallend ist lediglich die relative Ruhe. Niemand singt irgendwelche Lieder, niemand ruft Dinge durch die Gegend – das ist dann doch eher untypisch. An den – selbstverständlich männlichen – Securitymenschen vorbei, platzt im Halleninneren zunächst einmal die Illusion. Leider ist nicht einmal die diktatorischste Band der Welt in der Lage, den lokalen Betreibern vorzuschreiben, wer am Ausschank arbeitet oder für das Rote Kreuz anwesend ist. Andererseits ist auch die Relation von etwa 20 weiblichen Notfallhelferinnen und Bierverkäuferinnen im Vergleich zu ca. 11,000 männlichen Konzertbesuchern noch immer ziemlich beeindruckend. Auf der offiziellen Homepage war augenzwinkernd vor „längeren Wartezeiten vor den Bier-Abgabestellen“ gewarnt worden – eine Prognose, die sich nun bestätigt. Aber auch vor dem Männerklo bildet sich eine lange Warteschlange. Beim Stehen am Pissoir sagt jemand: „Und gestern haben vermutlich die Weiber hier gestanden und gepinkelt.“ Im Innenraum ist die Stimmung noch ruhig, niemand kreischt „Bela!!!“, lediglich hin und wieder werden Fußballgesänge angestimmt. Noch riecht es nicht nach Schweiß sondern lediglich nach Bier und Gras. Kurz vor Konzertbeginn erwachen die Großbildschirme neben der Bühne zum Leben und zeigen ein Bild von zwei silbernen Felgen. Die Menge gröhlt. Während der nächsten Minuten folgen Bilder von Frauen in Bikinis, Autos, Biergläsern, Schnitzeln, Baumärkten und Hamburgern mit Pommes. Die Reaktion wiederholt sich stets. Das ist eben das Schöne an Klischees – sie sind verdammt unterhaltsam.

Und dann geht es los. Zunächst mit einem Video, dass Belafarinrod beim Verlassen des Backstagebereiches zeigt. Sie bewegen sich durch die Niederungen der Westfalenhalle, augenscheinlich in schwindelnden Höhen. Plötzlich löst sich mitten über dem Publikum ein Stück der Hallendecke und kommt stetig näher. Während 22,000 Augenpaare gebannt in die Mitte der Halle schauen und langsam realisieren, dass es sich bei den drei Personen, die dort herabgefahren kommen, um Menschen mit Perücken handelt, fällt der Vorhang, die Ärzte stehen auf der Bühne und beginnen zu spielen. Es ist auf den Tag genau 8 Jahre her, dass ich diese Band zum allerersten mal live zu sehen bekam. In der Zwischenzeit habe ich fast 10 Konzerte von ihnen besucht und würde trotz allem behaupten, irgendwie etwas reifer geworden zu sein. Doch als sie das erste Lied zu spielen beginnen, bekomme ich eine Gänsehaut und fühle mich wieder genau wie damals, mit 14 Jahren in der Frankfurter Festhalle. Die Setlist spricht ihre eigene Sprache. Auf „Junge“ folgt „Ein Mann“ und im Anschluss der 45-Sekunden-Kracher „BGS“. Nach wenigen Sekunden entstehen die ersten Pogokreise, wovon mancher überrascht wird – verschüttetes Bier ist überall. Mit „Gentlemen and Gentlemen – das Verstellen hat ein Ende“ wird das Publikum begrüßt und erst einmal deutlich gemacht, dass die Erwartungen nach dem gestrigen Frauenkonzert hoch sind. „Es war sehr romantisch, niemand hat ‚Scheiß-Tribüne‘ gerufen und als wir Brüste gesehen haben, wölbte sich nicht so’n haariger Bauch darunter.“ Als Reaktion beginnen selbstverständlich sofort ‚Scheiß-Tribüne‘-Sprechchöre.

Es folgt der ganz normale Wahnsinn eines Ärzte-Konzerts. Knappe 3 Stunden Musik, unterbrochen von Rumgealber seitens der Band und einem Publikum, das wirklich bei jedem Scheiß mitmacht, den sich die drei Idioten auf der Bühne so ausdenken. Trotzdem ist es ein besonderes Konzert; die kleinen aber feinen Unterschiede machen das deutlich. Da wäre zunächst einmal die Auswahl der Songs. Ein Blick auf die Setlist offenbart zunächst einen deutlichen Mangel an langsamen Liedern und Balladen. Ein Kracher folgt auf den nächsten, konsenquenterweise endet das Konzert mit dem vollkommenen Trümmersong „Dauerwelle vs. Minipli“. Vom Publikum wird dies dankend angenommen, was sich mit meinen eigenen, privaten Forschungen auf dem Gebiet der Gender Studies durchaus deckt. Schon lange vertrat ich die These, derzufolge Männer einzig aus dem Grund der Anwesenheit von Frauen der Aktivität des Tanzens nachgehen. Beim Konzert hat dies zur Folge, dass es grundsätzlich nur 2 Möglichkeiten des Bewegungsausdruckes zu beobachten gab. 1.) lässig dastehen; mit dem Kopf und den Füßen mitwippen und 2.) Pogo. Dieser Tanzstil, der im Wesentlichen darauf aufbaut, andere Menschen durch die Gegend zu schubsen und sich anzuspringen, wurde prinzipiell zu jedem Lied begangen – zurecht. Wenn nicht für diesen Abend, ich wüsste nicht wofür Pogo dann erfunden worden sei. Bei Liedern mit mittlerem oder gar langsamen Tempo kann das bisweilen etwas seltsam anmuten. Die ‚Wall Of Death‘, eine Spielart des Pogo, bei der sich das Publikum aufteilt und große Freifläche bildet, in die man anschließend mit hoher Geschwindigkeit stürmt, ist an sich eine feine Sache. Leider beruht sie auf dem Prinzip von Musikstücken, die zunächst langsam sind und an einer bestimmten Stelle schneller werden. Beim falschen Lied jedoch führt sie dazu, dass ein Haufen Männer sich im Abstand von 10 Metern gegenübersteht und irritiert guckt, wenn allgemein festgestellt wird, dass dieses Lied ganz einfach nicht schneller werden wird. Außerdem fällt in Bezug auf die Setlist noch auf, dass man für diesen Abend einige untypische Stücke ausgewählt hatte. Viele Singles und Klassiker sucht man auf der Setlist vergebens, während andere Lieder gespielt wurden, die man schon lange nicht mehr live zu Gehör bekam. Sollte sich doch einmal ein langsamer Song eingeschlichen haben, so wurde er einfach aufgepeppt – im Fall von „Omaboy“ mit einer 6minütigen Feuerwerkorgie, die Rammstein vor Neid erblassen ließe und in Kombination mit dem bescheuerten Text des Liedes einfach nur ein weiteres Highlight des Absurden bot.

Zwischen den Liedern zeigt sich auf der Bühne das gewohnte Bild. Farin und Bela präsentieren sich in bester Laune und versuchen sich gegenseitig mit bescheuerten Ansage zu übertrumpfen, während sich Rod wie so oft eher zurückhält. Zwar lassen sie es sich nicht nehmen, aktuelles Zeitgeschehen von Guttenberg bis Wulff zu kommentieren, jedoch überwiegte eindeutig das Alberne und Niveaulose. Eine von der Band initiierte Laola, die vom Publikum minutenlang weitergeführt wurde, führt Farin Urlaub zu der Erkenntnis: „Sind Männer einfacher glücklich zu machen? Ich sag jetzt schonmal ja.“ Dies wird wohl nur noch von der einige Zeit später angeleierten Rülps-Laola übertroffen, die augenscheinlich sogar die Ärzte in Erstaunen versetzte darüber, wozu sich ihr Publikum breitschlagen lässt. Der unangefochtene Höhepunkt des Abends sowohl in Sachen Niveaulosigkeit, spontanem Herumgealber und Publikumsbeteiligung erfolgte aber mit der Komposition eines neuen Liedes, welches diesem Artikel seinen Namen leiht. Auf einem uff-ta-ta Bierzelt Rythmus beginnen Farin und Bela damit, sich mit immer neuen Zeilen zu übertrumpfen, die sich stets auf den vom Publikum gegrölten Slogan „Ficken und Bier“ reimen und im Handumdrehen wird daraus ein Selbstläufer. Fast jedes folgende Lied ist fortan durchsetzt von Einschüben dieses neuen Hits; das geht soweit, dass Farin schließlich das Fazit zieht: „Weiß du Bela, ich reize Witze gerne bis zu ihrem Ende aus. Du hingegen tötest sie und ziehst sie danach noch 2o mal durchdie Hauptstraße.“ Als die Band schließlich die Bühne verlässt verlangt das Publikum nicht nach einer Zugabe – unter „Ficken und Bier“-Sprechchören kehren Belafarinrod zurück auf die Bühne um ihre Zugaben zu spielen und fassen die Lage treffend zusammen: „Das ist wie Junggesellenabend hier. Nur größer und mit schlechterer Musik.“

Für die Zugabenblocks kramt die Band dann nochmal ein paar ungewöhnliche Lieder, inklusive dem immer noch indizierten ergo bei Auftritten verbotenen „Geschwisterliebe“, aus der Kiste, jedoch schlich sich so langsam ein Gefühl der Erschöpfung ein – das ist zumindest mein Eindruck. Zwar wurde bei „Zu Spät“ wie gewohnt ellenlang improvisiert und umgedichtet bis es wie ein Lied über Elche anmutete, doch trotzdem konnte ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass besonders bei Farin die Spielfreude bereits am Ende war – ein seltsames Vorzeichen im Hinblick auf die große Deutschlandtour im nächsten Jahr. Auch ich musste mir eingestehen, deutlich kaputter zu sein als erwartet – ob das nun an den vielen schnellen Stücken und dem Körpereinsatz beim Pogo oder daran lag, dass ich eben doch nicht mehr so jung wie vor 8 Jahren bin sei einmal dahingestellt – und gönnte mir daher eine Pause, in der ich den erfolglose Versuch unternahm die übertriebenen 2 Euro Pfand für meinen Bierbecher zurückzuerobern. Dies wuchs sich zu einer Unmöglichkeit aus, da es in der gesamten Westfalenhalle kein Kleingeld zur Pfandrückgabe mehr zu geben schien. Zum Abschluss ließen sich die Ärzte dann nicht lumpen und verließen die Bühne standesgmäß – in einem Helikopter. Dieser wurde unter lautem Getöse auf die Bühne heruntergelassen, nahm seine drei Passagiere auf und wurde anschließend wieder in die Höhe gezogen. Mit „Geschlechtsgenossinnen und Genossen. Männer, Dankeschön! Ihr habt es überstanden, das XY-Konzert mit den drei Volltrotteln aus Berlin“ verabschiedet sich die Band. Während ich mich beim Verlassen der Halle fragte, wie lange die Super Drei hinter dem Vorhang wohl noch in der Luft hingen, bin ich komplett durchgewschwitzt und mir tut so ziemlich alles weh.Ich bin heiser, denn auch wenn ich schon ewig nicht mehr die Ärzte gehört hatte, kann ich selbstverständlich jeden Text immernoch mitsingen. Ich bin vollkommen fertig und sehr glücklich. Am Auto angekommen ziehe ich ein frisches T-Shirt und den Ärzte-Pullover, den ich eigentlich nur noch zuhause zum Gammeln trage, an und erfreue mich der Tatsache, dass ich mit einer Mitfahrgelegenheit unterwegs bin und nicht selber die 150 Kilometer durch die Nacht fahren muss. Es ist ein bisschen wie vor 8 Jahren – mit 14, als Mami und Papi mit nach Frankfurt kamen und uns nach dem Konzert nach Hause fuhren.