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Des isch ja bruddaal! – Southside 2011

22/06/2011

Es ist ungefähr 3 Uhr und ich liege auf dem Fahrersitz eines winzigen Autos. Es regnet. Ich bin durchnässt und mit Schlamm bis zu den Knien bedeckt. Ich friere und ich habe einen Sonnenbrand. Nach 40 Stunden würde ich gerne mal wieder schlafen. Während dieser 40 Stunden habe ich mich im Wesentlichen von Hopfen und Malz ernährt. Wenn doch wenigstens mein Schlafsack trocken wäre oder ich ein paar Socken an den Füßen hätte. Herzlich Willkommen zum Southside Festival, äh Verzeihung Feschtival 2011!

Aber vielleicht fangen wir am Anfang an. Wenn einer der Mitfahrer um kurz nach eins auf der Fußmatte steht und die Anderen angekündigt haben, zur gnadenlosesten aller Uhrzeiten – um 5 Uhr morgens – aufzuschlagen, dann kann man sich das mit dem Schlafen ja irgendwie auch gleich schenken. Wenn man ein bisschen Glück hat und zudem eine Wodka- nicht von einer Rumflasche unterscheiden kann, dann erfindet man in der so eingesparten Zeit sogar einen neuen Cocktail, der garantiert ein voller Erfolg werden wird. Kolumbus wollte ja schließlich auch nach Indien. Wenn man dann einmal wachgeblieben ist, erübrigt sich auch der ekelhafte Prozess des Aufstehens und voller Tatendrang und Energie kann man dem neuen Tag entgegentreten. Allerlei lernt man auf der 5stündigen Autofahrt. Erstaunt nimmt man so zur Kenntnis, dass zu dieser – mir bis dato unbekannten – Uhrzeit bereits die Sonne scheint, dass man an deutschen Tankstellen vor 7 Uhr kein Bier erwerben kann und dass Kamele offenbar gerne Cha-Cha-Cha tanzen. Müdigkeit wird gnadenlos durch ununterbrochenes Verbreiten von verbalem Durchfall verdrängt und ehe man sich versieht befindet man sich dann auf einmal auf einem gigantischen Parkplatz und wird von den unsympathischsten Ordnern der Welt eingewiesen.

An einem Freitag zum Southside anzureisen ist nicht die großartigste Idee auf der Welt. Während ungefähr 40.000 andere Festivalbesucher damit beschäftigt sind in der Sonne zu sitzen, zu grillen, Bier zu trinken und sich ganz einfach auf verschiedenste Art und Weise daneben zu benehmen, kann man dann beladen wie ein Packesel auf den absurd wenigen und kleinen übriggebliebenen freien Rasenflächen einen Zeltplatz zu finden. Wenn man diesen nicht unbedingt direkt im Schatten der Dixieklos haben will, dann muss man schonmal damit Vorlieb nehmen, sein Zelt irgendwie auf die Hälfte der eigentlichen Fläche zwischen zwei andere Zelte zu quetschen und sich dabei von den Nachbarn anschnauzen lassen, die angeblich noch weitere Zelte erwarten. Wenn man ja wenigstens verstehen würde, was die sagen. Man hat den Eindruck zwischenSchwaben, Schweizern und Bayern der einzige Inhaber eines Feschtivalbändles zu sein, der in der Lage ist, hochdeutsch zu sprechen. Während ich stolz neben unserem irgendwie zusammengezimmerten Zelt stehe, werde ich mit den Worten Du hast aber scho a ganz schönen Bierbauch, von einem Mädchen angesprochen. Macht man in Bayern etwa so Konversation? Böse kann es zumindest nicht gemeint sein, denn kurz darauf drückt sie mir ihre Bierdose in die Hand und unterhält sich mit mir. Überhaupt ist es höchste Zeit, den eigenen Bestand an Gerstensaft, Bratwürsten und  Ravioli aufzustocken und so wird bald wieder fröhlich schleppend übers Gelände gelaufen. Die meisten anderen Besucher sind besser vorbereitet und ziehen auf ihren mitgebrachten Bollerwagen und Sackkarren Unmengen von gutem Pils ohne Schnörkel hinter sich her.

Nach einem unglaublich sonnigen Nachmittag, der schon mal zu gesichtsspaltender Röte führen konnte, setzte dann selbstverständlich pünktlich mit dem ersten besuchten Konzert der Regen ein – und hörte dann auch erstmal für einige Stunden nicht wieder auf. Flogging Molly machten das Beste daraus und verteilten weiter fleißig Guinessdosen an das nasse Publikum und ein in Bestform herumpöbelnder Pelle Almqvist forderte kurz darauf die Zuschauer auf, sich gefälligst auf den mittlerweile matschigen Boden zu setzen, da man es hier schließlich nicht mit irgendeiner Band, sondern den fuckin‘ Hives zu tun habe. Zugaberufe leitete er kurzerhand selber ein und ging dann auf Tuchfühlung mit der ersten Reihe, die er darum bat, ihn anzufassen weil das dazu führe, dass man sich sofort wärmer fühlt. Nach so einer perfekten Show aus Garage Rock, Arroganz und Selbstverliebtheit wirkte der folgende Auftritt der Arctic Monkeys leider ein bisschen farblos und unspektakulär. Gut, dass sich das Warten in nassen Klamotten und Kälte zumindest durch den Auftritt von Conor Oberst und den Bright Eyes voll auszahlte, die im lächerlich kleinen Zelt dem Publikum mit fettem Orchestersound einheizten. Schade nur, dass man auch der letzten Band des Abends eine – diesmal tatsächlich vom Publikum geforderte – Zugabe über die geplante Slotzeit hinaus zu verbieten schien.

Wer jetzt denken sollte, ein schwimmendes Zelt vorzufinden nachdem man eine gefühlte Stunde durch den Schlamm zurückgewatet zu ist, wäre schon dramatisch genug, der irrt sich aber gewaltig. Auch eine durchfrorene semierholsame Nacht war noch nicht der Höhepunkt der Dramatik. Wenn man dann aber am nächsten Morgen bei immernoch strömendem Regen auf einmal im Auto gefangen und auf Parkplatz 3 gestrandet ist, dann ist es schon irgendwie an der Zeit, aus einer Zeitschrift ein Bild von Bear Grylls herauszureißen und es voller Hoffnung aufzuhängen und anzubeten. Und er wäre stolz auf uns gewesen. Wir erlegten einen Cornyriegel und ein Kaugummi, die jeweils geteilt wurden und schließlich ging eine Packung 5-Minuten-Terrine in die Falle und wurde stilecht ungekocht geknabbert. Man: 1. Wild: 0.

Als wir kurz darauf in Richtung Festivalgelände aufbrachen, passierte einer dieser magischen Momente. Nach ungefähr 20 Stunden kommt zum ersten Mal wieder die Sonne zum Vorschein – und der gesamte Campingplatz bricht in Jubel aus. Den ganzen Nachmittag wird das so weitergehen und jedes mal wird die Sonne, der eigentliche Headliner am Samstag, mit einer Jubellaola empfangen. Überhaupt: die Sonne ist wieder da und auf der Bühne stehen die Irie Révoltés und machen mit feinstem Dancehall und Ska ordentlich Laune. Ich weiß, ihr hattet viel Regen, aber jetzt sind wir da und haben die Sonne mitgebracht. Nur wie soll man denn da mitsingen, das ist ja alles auf französisch. Egal, das Publikum ist ausgelassen, die Luft riecht grün, geht es noch besser? Definitiv, denn kurz darauf sitzt man in der Sonne bei Bier und Bratwurst und lässt den Schlamm einfach mal den Schlamm & die Schweizer einfach mal die Schweizer sein. Da kann man schonmal die Zeit vergessen und ein bisschen später Richtung Festivalgelände marschieren. Hauptsache zu Portishead ist man pünktlich, denn auch wenn die Festivalatmosphäre ein bisschen unpassend erscheint ist es ein absolutes Highlight und mir fehlen schlicht die Worte, um meine Gänsehaut bei Glory Box zu beschreiben. Verdammt schweren Herzens muss ich mich aber noch während des Auftritts von Beth Gibbons trennen, um mich im Zelt unter bösen Blicken anderer Zuschauer nach vorne zu drängen, um ihn zu sehen: den geilsten Bartträger des Festivals. Die Eels rockten das überfüllte Zelt ganz einfach nur und ich war nur noch selig, denn Mr. E wollte ich nun schon sehr lange endlich mal live zu Gesicht bekommen. Das Ganze wurde noch abgerundet von einem entspannten Auftritt von Arcade Fire, bevor man sich die Chemical Brothers schenkte, da es irgendwie seltsam ist, nur Lightshow und Gedöns zu sehen und sich zu fragen, ob da eigentlich überhaupt jemand auf der Bühne steht. Routiniert stapft man mittlerweile durch den Schlamm zurück zum Auto um sich in den Sitz fallen zu lassen.

Am Sonntag sieht die Welt dann schon ganz anders aus. Morgens gibt es ein Luxusfrühstück in Form eines halben Tag alten, leicht angebrannten Aufbackbrötchens und dabei lacht die Sonne zum Autofenster herein. Mit dem Schlamm haben sich die Meisten längst abgefunden. Zwei Typen haben es sich auf dem Boden bequem gemacht und löffeln fröhlich ihre Cornflakes mit Milch aus dem getrockneten Matsch. Weiter auf dem Gelände wird vor der Blue Stage zu den Vaccines getanzt – so gut das eben geht, wenn man mit den Füßen im Matsch feststeckt und es zudem kurz nach 12 an einem Sonntagmittag ist. Die Band hat trotzdem ihren Spaß und ist entsprechend sauer, als man ihnen nach kaum mehr als einer halben Stunde den Strom abdrehen will und ich bin dankbar, dass ich dank Sänger Justin Young nun endlich weiß, wie man diesen verflixten Bandnamen eigentlich ausspricht. Anstelle des Regens hatte sich das Wetter inzwischen etwas Neues ausgedacht und bescherte dem Gelände einen ordentlichen Sturm, der gnadenlos über den Zeltplatz fegte und dafür sorgte, dass sich die Zelte der vielen Menschen, die schon in Aufbruchstimmung waren, quasi von ganz alleine abbauten. Dem Spaß war das nur dienlich, denn spontan wurden viele weggewehte Pavillons umfunktioniert und überall konnte man weiße Drachen am Himmel sehen.

Das Feschtival ging langsam aber sicher seinem Ende zu und nach einem erneuten Packeselmarsch und der logistischen Glanzleistung, mit der all das Gedöns in das kleine Auto gestopft wurde, war es Zeit noch ein bisschen Musik zu genießen. Den Auftritt von The Sounds machte mir leider der neben mir stehende Herr kaputt, der darauf beharrte, Sängerin Maja Ivarrson sei einmal ein Mann gewesen. Versuch mal, diesen Gedanken wieder aus dem Kopf zu verbannen. Vielen Dank auch! Dann eben rasch zur grünen Bühne, um sich von Sublime ordentliche Sonnenschein-Mucke liefern zu lassen. Ein wunderbarer Auftritt und als sie dann auch noch zum Abschluss ‚Santeria‘ spielen – ein Lied, das bei mir jedes Jahr am ersten schönen Frühlingstag laut aufgedreht wird – war ich sowieso hin & weg. Die Überraschung des Wochenendes brachten dann Gogol Bordello. Zwar hatte ich mir schon einen spaßigen Auftritt von der selbsttitulierten Gypsy-Punk Band erwartet, aber wer hätte denn ahnen können, dass die so dermaßen auf die Kacke hauen? Mit Weinflasche in der Hand und dickem Schnauzer im Gesicht heizte Eugen Hütz dem Publikum ein, während der Rest der riesigen Band ordentlich aufdrehte und kein Tanzbein stillstehen ließ. Es war eine einzige Party, sowohl auf der Bühne als auch davor und die Band spielte zurecht mehrere Zugaben, bis sie sich schließlich vom begeisterten Publikum verabschiedeten. Die weiteren Auftritte von Kasabian und den Kaiser Chiefs boten auch eine ordentliche Show, konnten aber der hohen Messlatte nicht gerecht werden, zumal es vor allem bei letzteren dank großer Konkurrenz durch Incubus und Sum 41 schon sehr leer wurde. Was solls, dann macht man eben zu dritt Circle Pit und Wall of Death. Hauptsache man selbst hat Spaß dran, oder?

Ein letzter von etwa 5 Milliarden Blicken auf den Timetable sagte uns, dass es das gewesen war und schweren Herzens hieß es nun auch schon, sich vom Southside zu verabschieden. Doch das Herz ist eben auch nur eine Schlampe der Bequemlichkeit und spätestens als man 2 Stunden später in einem echten Bett lag und die Beine ausstreckte war es schon wieder erheblich leichter geworden. Und so konnte Montagmittag dann frisch geduscht und gut erholt die Rückreise angetreten werden, was sich nicht nur für uns, sondern vor allem für die zahlreichen Menschen, die neben uns im Stau standen, auszahlte, die so in den Genuss von musikalischen Höchstleistungen kommen durften. Ich möchte an dieser Stelle auf einen neuen Rekord in Sachen Zementsacklied hinweisen. Hundert Sack Zement, meine Damen und Herren!

Vielmehr bleibt nicht zu sagen außer: Brutal war es, das Southside Feschtival. Ich freu mich auf nächstes Jahr und auf die beste Band der Welt. Dann aber mit Gummistiefeln und 500 Sack Zement!

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