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Christian! Ein Elch!

06/10/2011

Es ist doch schon ein bisschen seltsam. Da verschwende ich meine Zeit damit, Texte über Reisen zu schreiben, die nur in meinem Kopf passieren, wenn ich aber tatsächlich mal in Fleisch und Blut durch die Weltgeschichte tingele, gelingt es mir nicht, mich dazu aufzuraffen, davon zu berichten. Das war ein sehr langer Satz. Eine sehr lange Zeit ist auch vergangen, seit ich aus dem besagten Urlaub zurrückkehrte, und mit diesem unterirrdischen Übergang soll mein Urlaubsbericht beginnen. Ausnahmsweise unternahm ich also eine echte Reise und saß nicht traumtanzend vor dem Laptop wie in letzter Zeit so oft. Wie genau es aussieht, wenn man auf einem Schreibtischstuhl sitzend traumtanzt, ist eine durchaus spannende Frage, die hier aber bitte nicht ausgiebig diskutiert werden soll. Stattdessen könnte ich wohl mal anfangen, um nicht auch noch den letzten, tapferen Leser mit den seltsamen Gedanken, die mir durch den Kopf spuken, zu verscheuchen. Schnurstracks begebe ich mich daher einige Wochen zurück, an jenen Sonntag, an dem diese Reise beginnen sollte. Der alltägliche Wahnsinn, den so ein Roadtrip in einem wunderschönen, grünen VW-Bus mit sich bringt, ist schwer in Worte zu fassen – man kann das eigentlich nur verstehen, wenn man es erlebt hat. Dennoch möchte ich den Leser dazu einladen, sich einfach mal dazuzusetzen und unseren ersten Reisetag mitzuerleben. Ein chaotischer Tag voller Missgeschicke und Fehlorganisation. Ein fulminanter Start.

Sich für zehn Uhr morgens zu verabreden war ein ziemlicher Witz, denn natürlich wird aus so einer Verabredung nichts. Vor zehn Uhr kriegt man mich nirgendwohin, wenn es sich nicht gerade um eine behördliche Vorladung handelt. Manchmal zweifle ich gar daran, ob meine Uhr einstellige Stundenzahlen überhaupt kann. Die Mittagsstunde scheint mir da schon vernünftiger gewählt, denn so kann man nicht nur vernünftig ausschlafen, sondern hat auch noch Zeit, ein ordentliches Frühstück zu sich zu nehmen und sich die Zähne zu putzen. Am Besten in umgekehrter Reihenfolge. Falls nötig kann man sogar noch einer Vorladung nachkommen und auf unschuldig plädieren. Rechnet man dann noch die obligatorische Stunde hinzu, die dadurch draufgeht, dass irgendwer noch irgendwas vergessen hat, dann kommt man auf eine sehr vernünftige Aufbruchszeit, um den Tag damit zu verbringen, bis hoch zur dänischen Grenze zu fahren. Gut gelaunt erfreut man sich daran, dass die Sonne scheint und dass man der Hörspielversion von Jurassic Park lauschen kann. Nach einstündiger Autofahrt möchte man sich dann die erste Kaffeepause gönnen. Schade ist es in so einer Situation, wenn sich unter dem Gasflaschenschutzblechaufsatz – ein Wort das ich möglicherweise soeben erfunden habe – gar keine Gasflasche befindet. Da ein Gasflaschenschutzblechaufsatz ohne Gasflasche reichlich unpraktisch ist, entschließt man sich eben, noch einmal zurückzufahren, um die Gasflasche zu holen und unter dem Gasflaschenschutzblechaufsatz zu verstauen. Immerhin hat es auch seine guten Aspekte, wenn man erst drei Stunden später erneut bei Kilometer Null startet. Durch diesen Fehlstart blieb es mir erspart ohne Handyladegerät und Personalausweis zu reisen, welche ich mich spontan entschied, doch noch einzupacken. Irgendwann gegen Abend ist man dann bei Hannover und immer noch meilenweit vom Ziel entfernt. In dieser Situation empfiehlt es sich, an einer Raststätte herauszufahren, die einen schönen Namen wie „Am Bierberg“ trägt, erstmal in Ruhe Kaffee aufzubrühen – ganz recht, mithilfe der Gasflasche, die sich unter dem Gasflaschenschutzblechaufsatz befindet – und den Bus mit Fingerfarben zu bemalen. Letzteres ist selbstverständlich unabdingbar, auch wenn es natürlich etwa zwanzig Minuten später anfangen wird zu regnen und gewittern, als sei der letzte Tag angebrochen. Die weiteren Stunden im unbemalten und blankgeputzten Auto verbringt man wahlweise damit Gameboy zu spielen, die lächerlich vielen Dinge zu verspeisen, die sich im Gepäck befinden oder einfach irgendwelchen Müll zu reden. Auch das buseigene Dolby-Surround-System ist mittlerweile mit einer  ganzen Rolle Klebeband installiert und man kann sich an dufter Musik und dick Bass erfreuen. Inzwischen ist es stockdunkel draußen und man fliegt an der unsichtbaren norddeutschen Landschaft vorbei, die sich an die Autobahn anschmiegt – sofern man bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ca. 103 Kilometern pro Stunde von fliegen reden kann. Die Moral des Ganzen lautet übrigens „Ende gut – alles gut“, denn am Ende kommt man in Flensburg an, findet durch mehr Glück als Verstand einen schönen Parkplatz direkt am Hafenbecken, trinkt noch eine Flasche Wein und fällt dann zufrieden ins Bett.

Nachdem der Reisealltag damit hinlänglich beschrieben sein sollte, möchte ich direkt zu einer anthropologisch äußerst fundierten Analyse der dänischen Bevölkerung kommen. Dänemark ist toll. Zunächst lässt sich sagen, dass Dänen in sehr großen, prunkvollen Häusern in bester Lage wohnen. Alle. Desweiteren lässt sich sagen, dass es sich um äußerst charmante Menschen handelt, die auf fremde Touristen bestens vorbereitet sind. Selbst alte Männer mit ungewaschenen Haaren, denen ein penetranter Uringeruch anhaftet, sprechen exzellentes Englisch und sind zudem sehr hilfsbereit. Lediglich die Aussprache eines einzigen Dänen ließ zu wünschen übrig, doch der war fremdenfeindlich und zählt daher nicht. Lustig ist es trotzdem ein bisschen, dass ich seine Warnung vor „turkish people, who sell drugs“ ganz einfach missverstand und mir bei „church people, who sell drugs“ unweigerlich einen katholischen Priester vorstellen musste, der nachts angeschlichen kommt, sein Gewand aufmacht wie Schlemihl aus der Sesamstraße und darunter ein Sammelsurium verschiedenster Suchtmittel feilbietet. Die Dänen – und selbstverständlich auch; in diesem Fall sogar insbesonders; die Däninnen – bewegen sich am liebsten mit ihren Fahrrädern fort und dementsprechend sind sie alle frisch, knackig und gutaussehend. Gefährlich kann lediglich das Paddelbootfahren in Dänemark werden, denn hierbei lässt sich mangels einer passenden Luftpumpe eine Nahtoderfahrung beim Aufpusten nur schwerlich vermeiden und die Strömung auf dem Roskilde-Fjord ist so stark, dass man sich an einer vogelkotbedeckten Boje festbinden muss, um in Ruhe Bier trinken zu können. Hauptsache ein Paddelboot im Gepäck, dass man einmal aufpustet und den Rest des Urlaubs nur noch von A nach B räumt. Schade ist lediglich, dass man in Dänemark keine Gasflaschen kaufen kann. Kann man schon, aber nicht die, die wir wollten. Somit hatten wir nun also nach zwei Tagen Urlaub eine leere Gasflasche unter unserem Gasflaschenschutzblechaufsatz und kauften letztendlich einen portablen Campingkocher. Immerhin war damit das Gasflaschenkapitel beendet und das Wort „Gasflaschenschutzblechaufsatz“ soll bitte nie wieder erwähnt werden. In Kopenhagen gibt es nicht nur mehr Fahrräder als irgendwo sonst, sondern auch den Freistaat Christiania, wo man im sogennanten „Green Light District“ nicht auf die Anwesenheit von Priestern angewiesen ist, sondern beim Drogen shoppen gemütlich durch die Straße schlendern und Preise vergleichen kann. Auch ansonsten wirkte die Hauptstadt sympathisch. Schließlich sollte man noch festhalten, dass es in Dänemark von Brücken wimmelt, die zumeist ewig lang und leider auch teuer sind, dafür aber wunderbare Ausblicke bieten. Über eine solche Brücke verließen wir das Land in Richtung Schweden.

Schweden ist wunderbar. Es fällt schwer, ein Land nicht zu mögen, das der Welt Einrichtungshäuser geschenkt hat, in denen man für einen Euro Hot Dogs essen kann – auch wenn es in Schweden den Euro nicht gibt. Diese grundsätzliche Sympathie steigerte sich immer weiter als wir entdeckten, dass man in schwedischen Supermärkten nicht nur Bacon-, Chorizo-, und Salamipasten aus der Tube kaufen kann, sondern auch Nagelknipper für umgerechnet einen Euro, die hier „Nagelklippare“ heißen. Allgemein lässt sich über den Schweden an sich ähnliches berichten wie über die dänische Bevölkerung. Lediglich beim Englischen hapert es bisweilen, sodass man morgens geweckt und mit dem schockierenden Missverständnis konfrontiert wird, man solle bitte 800 Kronen für einen schäbigen Parkplatz berappen, ca. 90 Euro. In diesem Fall bietet es sich an, auf dummer Tourist zu machen und zu behaupten, man habe das Schild nicht lesen können, da es nur auf schwedisch sei. Auch wenn man das Schild garnicht gesehen hat und später feststellen muss, dass es eine englische und deutsche Übersetzung beinhaltete. Auch scheint es, die schwedischen Damen seien nicht so hübsch wie die Däninnen, doch mag das daran liegen, das wir uns zumeist in der Wildnis aufhielten. Immerhin erspähte ich in Schweden die vermutlich hübschesten Straßenarbeiterinnen, die ich je sah – eine Beobachtung, die meine Mitreisenden ignoranterweise als Fata Morgana abtaten, aber ich weiß was ich gesehen habe. Ansonsten sah ich viel Natur. Wälder bis zum Abwinken und bezaubernde Seen. Am Schönsten war der Vänernsee, an dem wir unser Lager aufschlugen, um mitten im Wald und direkt am See zu kampieren. Schwimmen im See, Angeln, Biertrinken, Gameboy spielen, lesen. Ein Paradies, das wir lediglich mit einem Schweden teilten, der am Seeufer den Rasen mähte. Ansonsten Einöde. Schöner könnte es hier vermutlich nur sein, wenn man keine volle Ginflasche zum Kühlen im See versenkt und danach nie wieder gesehen hätte.

Norwegen ist fantastisch. Wenn man mit dem Auto durch Norwegen fährt möchte man alle dreißig Sekunden die Kamera zücken und ärgert sich, weil man den „perfekten Schnappschuss“ verpasst hat, nur um dreißig Sekunden später eines besseren belehrt zu werden. Ein bezaubernder See wartet hinter jeder Kurve. Wo es keine Seen gibt warten Fj0rde, Berge oder andere Naturschönheiten. Wunderschöne Menschen bewohnen diese Landschaft und ca. 31,7 % der norwegischen Bevölkerung bestehen aus jungen, hübschen Frauen mit langen blonden Haaren. In Oslo tummeln sie sich in Massen und auch aber nicht nur deshalb hat die Hauptsatdt einen gewissen Charme. Aufpassen sollte man lediglich bei der Wahl des nächtlichen Stellplatzes in Oslo. Fahren nach Einbruch der Dunkelheit dunkle Autos ohne Licht im Schrittempo über den Parkplatz, dann befindet man sich vermutlich auf einem sogenannten „gay cruising place“ und sollte gegebenenfalls mit dem Gedanken spielen, sich zu trollen und irgendwo einen gut beleuchteten Platz in bewohnter Nachbarschaft aufsuchen. Trotzdem gewinnt Norwegen vor allen Dingen dann, wenn man dem urbanen Leben den Rücken zukehrt. In der Einöde zu campen ist eine Wonne, denn man fühlt sich als sei man in einer Postkartenwelt gefangen. Wenn man von Einheimischen passiert wird, grüßen diese freundlich und sagen, sie fänden es toll, dass man hier campe. Zwar ist man dank des regnerischen Wetters in den Abendstunden oft auf die gemütliche Wohnfläche von ca. 1,5 qm innerhalb des Busses verbannt – was das Zusammenleben mitunter schwierig und das allgemeine Niveau kritisch werden lässt – aber dafür lernt man den Sonnenschein umso mehr zu schätzen. Lacht nach mehreren grauen Tagen morgens die Sonne, dann springt man breit grinsend aus dem Bett und hüpft den Rest des Tages wie ein grenzdebiles Kleinkind durch die Gegend. Fast jeden Abend findet man einen bezaubernden Stellplatz an einem See oder am Meer – lediglich als wir in Oslo die Flucht ergriffen waren wir nachts weiter als 200 Meter vom nächsten Wasser entfernt; zumeist standen wir direkt an einem Ufer – und wird am nächsten Morgen von einem atemberaubenden Ausblick begrüßt.

Je näher man der zerfjordeten Westküste Norwegens kommt, desto schöner wird es. Hier lernt man auch einige hilfreiche Dinge. Zum Beispiel, dass eine zweispurige Fahrbahn in diesem Land viel meint, aber sicher nicht, dass es sich um eine Straße handelt auf der zwei Kraftfahrzeuge nebeneinander fahren können. Infolgedessen lernt man auch, dass norwegische Busfahrer genauso unfreundlich sind wie ihre deutschen Kollegen. Fernfahrer hingegen sind recht hilfsbereit. Sie halten an und sorgen eigenhändig dafür, dass deutsche Touristen ihren Karren aus dem Dreck – oder in diesem Fall dem Straßengraben – gezogen bekommen. Dinge die ich noch lernte: in Skandinavien gibt es weder Elche, da wir keine sahen, noch Fische, da wir keine fingen. Beides sind meines Wissens Erfindungen von Google Earth. Am atemberaubendsten ist der Anblick der Fjorde wohl vom Preikestolen aus. Hierbei handelt es sich um einen Felsen, von dem aus man einen Blick über den gesamten Fjord hat. Atemberaubend ist wörtlich zu verstehen, denn an der Kante des Felsen geht es rasante 604 Meter abwärts und zwar senkrecht. Es war zugleich eine der schönsten und angsteinflößendsten Erfahrungen meines Lebens. Hat man die anfängliche Beklommenheit überwunden ist dazu geraten, sich ein Affen- oder Bananenkostüm anzuziehen und zu tanzen. Das hält Körper und Geist fit und auch die anderen eifrigen Wanderer werden für den beschwerlichen anderthalbstündigen Aufstieg mit Unterhaltung belohnt und freuen sich dementsprechend. Wenn man schließlich durchgeschwitzt und regennass den Abstieg gemeistert hat sollte man aus Protest gegen die horrenden Parkgebühren von ca. 15 Euro unbefugt in das anliegende Hostel eindringen und sich dort eine heiße Dusche gönnen. Danach sollte man sich für umme direkt ans Meer stellen, Bier trinken und den Texastopf von Lidl essen.

Um sich angemessen von Norwegen zu verabschieden sollte man Kristiansand aufsuchen und von dort die Fähre nach Dänemark nehmen. Dies sollte man allerdings nur tun, wenn gerade das Protest-Festival stattfindet. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wogegen exakt protestiert wurde, allerdings ist das auch ziemlich egal, denn es gab Gratiskuchen. Ich finde, dass jedes Festival, bei dem es Gratiskuchen gibt, ein gutes Festival ist. Wenn man morgens verschlafen durch den Hafen rollt und sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich auf dem Schiff zu sein und Kaffee trinken zu können, wird man von hübschen, jungen Frauen in orangenen Warnwesten dirigiert und verabschiedet. In diesem Moment merkt man, dass es ein Fehler ist, Norwegen zu verlassen. Mit der Fähre gelangt man nach Hirtshals und da auf dem Schiff ohnehin bereits jeder zweite Passagier deutsch spricht, sollte man noch schnell im Dünenmeer Rabjerg Mile eine Verfolgungsjagd in Kostümen drehen und im Anschluss ganz einfach durchfahren. Man sollte im Auto selbstkomponierte Lieder immer und immer wieder singen, den zweiten Teil des Jurassic Park Hörspiels hören und den letzten Texastopf essen. Man sollte im Stau die Fenster runterkurbeln und im Affenkostüm den anderen Verkehrsteilnehmern Liebeslieder entgegengrölen. Man sollte hin und wieder laut brüllen, denn das ist ein Hausmittel gegen den Buskoller, der bekanntlich im Knie beginnt. Wenn man all diese Ratschläge befolgt dann besteht zumindest ein Funken Hoffnung, dass man all das ohne bleibende Schäden übersteht.

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  1. 07/10/2011 10:16 am

    Unterhaltsamer Reisebericht. Hat Spaß gemacht zu lesen 🙂

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